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JBZ-Gast Bernhard Knierim im Interview mit Stefan Veigl von den Salzburger Nachrichten

„Wir verbrauchen vier mal soviel Fläche für den Verkehr als für das Wohnen“, so eine der markanten Aussagen des Berliner Verkehrswissenschaftlers Bernhard Knierim gestern in der Reihe JBZ-Zukunftsbuch, in der er sein Handbuch „Ohne Auto leben“ vorstellte. Das Auto habe durchaus seine individuellen Vorzüge, doch das Problem liege in den kollektiven Nachteilen, so der Experte. Neben den bekannten negativen Folgen wie Lärm, Smog oder Klimawandel gäbe es auch weniger beachtete Nachteile der autofixierten Gesellschaft. Etwa die soziale Exklusion all jener, die nicht Auto fahren können oder wollen, weil alle Infrastrukturen auf das Auto ausgerichtet sind, oder der Verlust des städtischen Raums sowie die vielen Verkehrstoten. In Deutschland sind es jährlich an die 4000, in Österreich an die 500, die im Straßenverkehr ums Leben kommen. Knierim pointiert: „Das Risiko durch einen Terrorangriff ums Leben zu kommen ist bedeutend geringer, als jenes durch einen Verkehrsunfall getötet zu werden.“

Raumordnung der langen Wege

Eine zentrales Problem identifizierte Knierim in der zunehmenden Aufspreizung der täglichen Wege: „Während um 1930 im Durchschnitt pro Tag und Person 4 Kilometer zurückgelegt wurden, sind wir heute täglich 40 Kilometer unterwegs. Die Wegziele haben sich wenig geändert. Menschen fahren zur Arbeit, zum Einkaufen oder besuchen Freunde, grundlegend geändert haben sich aber die Distanzen, die hierfür zurückgelegt werden.“ Ein wesentliches Problem ortete Knierim im starken Lobbyismus der Autoindustrie: Während etwa bei der Deutschen Bahn tausende Arbeitsplätze abgebaut wurden, ohne dass es Proteste gegeben hat, eile die Politik sofort heran, wenn bei einem Autokonzern einige Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Der Experte bezweifelte überdies die Angaben der Autolobby, dass jeder sechste oder siebte Arbeitsplatz am Auto hänge: „Da werden auch die Ärzte und Krankenschwestern dazugezählt, die Verletzte von Verkehrsunfällen behandeln.“ In seinem Buch zitiert Knierim eine Studie, der gemäß heute nur mehr jeder 20. Arbeitsplatz auf die Autoindustrie falle. Der Grund liege in der völligen Automatisierung der Produktionsprozesse.

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Chancen auf  Mobilitätswende

Der Experte ortete aber durchaus Chancen auf eine Mobilitätswende. Zum einen gäbe es ein Umdenken bei vielen Jüngeren, bei denen das Auto nicht mehr als Statussymbol gelte. Zum anderen gebe es mittlerweile Städte, die erfolgreich am Umbau arbeiten. „Während in der Autostadt Stuttgart etwa noch 51 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt werden – in Los Angeles sind es sogar 78 Prozent, entfallen im Schweizerischen Bern bereits 54 Prozent der Wege auf den Öffentlichen Verkehr und Kopenhagen hat mittlerweile einen Radanteil von 36 Prozent“. In Paris wiederum, das noch über eine Infrastruktur der kurzen Wege verfüge, würden 55 Prozent der Wege zu Fuß zurückgelegt. Knierim war nicht grundsätzlich gegen neue technologische Lösungen wie E-Antriebe, doch werde deren ökologisches Potenzial weit überschätzt. So verbrauche ein E-Auto aufgrund der Batterien mehr Rohstoffe als ein herkömmliches, zudem falle ein Viertel des Energieverbrauchs des Autos bereits in seiner Herstellung an. Und der Flächenverbrauch von E-Autos sei nicht geringer als jener mit Verbrennungsmotor.

 „3V-Verkehrspolitik“

Knierim sprach von einer „3V-Verkehrspolitik“. Als Faustregel für eine wirklich nachhaltige Politik seien drei Schritte nötig: 1. Verkehr vermeiden, etwa durch Nahversorgungsinfrastrukturen; 2. Verkehr verlagern durch Förderung des Umweltverbunds; und erst 3) Verkehr verbessern durch neue Technologien. In der Praxis würde aber vor allem über neue technologische Lösungen diskutiert, etwa selbst fahrende Fahrzeuge. Notwendig sei aber auch die Veränderung des Mobilitätsverhaltens der Bürger und Bürgerinnen: „Wandel entsteht nur, wenn Menschen etwas anderes machen und anderen vorleben.“ Dazu kämen dann Forderungen an die Politik sowie Lobbying für Fußgänger, Radfahrer und ÖV-Benutzerinnen.

1101_jbz_lebenohneautoDr. Bernhard Knierim ist Biophysiker und Verkehrswissenschaftler, seit einigen Jahren Mobilitätsexperte der Fraktion “Die Linke” im Deutschen Bundestag. Sein Handbuch “Ohne Auto leben” erschien 2016 im Promedia-Verlag, für den er 2013 bereits den Titel “Essen im Tank” verfasste.  Der Autor macht darin  zahlreiche Vorschläge, wie ein autofrei(er)es Leben gelingen und auch Spaß machen kann. Er zeigt aber auch auf, was politisch zu ändern ist, allem voran die Abkehr von der noch immer autozentrierten Subventions- und Steuerpolitik hin zu einer Mobilitätswende, die Anreize für den „Umstieg“ schafft. In seinem Blog „mobilitäts.wen.de“ nimmt Knierim zu aktuellen Fragen Stellung, etwa zu den Fallen der E-Mobilität oder den Illusionen über selbst steuernde Fahrzeuge.

Weitere Veranstaltung zum Thema am 9. Februar 2017

Der Vortrag in der Robert-Jungk-Bibliothek im Rahmen unseres heurigen Klimaschwerpunktes stieß auf großes Interesse. Am 9. Februar wird die Diskussion mit einem weiteren Abend zum Thema in der JBZ fortgesetzt. Peter Haibach vom „Forum Mobil“, Lukas Uitz vom Verein „Fairkehr“ und Fidelius Krammel von der „Radlobby Salzburg“ präsentieren ihre Vorschläge für  eine „Verkehrswende für Salzburg“ (Beginn 19 Uhr). Anmeldung