Am 21. November 2017 ist der Berliner Autor Fabian Scheidler zu Gast in der JBZ, wo er mit Hans Holzinger über sein neues Buch sprechen wird. Hier vorab eine Buchrezension Beginn: 19 Uhr Anmeldung erbeten.

„Chaos. Im Zeitalter der Revolutionen“

In „Das Ende der Megamaschine“ (s. Pro Zukunft 2015/4) hat Fabian Scheidler die 500-jährige Geschichte des Kapitalismus als Zusammenwirken von ökonomischer, politischer und militärischer Macht auf dem Rücken der Ausgeschlossenen aus einem nicht-eurozentristischen Blick beschrieben. In seinem neuen Buch „Chaos. Das Zeitalter der Revolutionen“ widmet sich der Historiker, Autor, Theater- und Fernsehmacher den aktuellen Weltkrisen und – was ihm nicht weniger gelingt – er zeigt Alternativen auf. Die Zeit von Krisen kann zu solchen von Neuanfängen, die von Umbrüchen zu solchen von Aufbrüchen werden, so die Ausgangsthese von Scheidler. Die kapitalistische Wirtschaftsweise macht er dabei an zwei Dingen fest: dem permanenten Drang zur Expansion auf der Suche nach neuen Rohstoff-, Arbeits- und Absatzmärkten sowie – damit zusammenhängend – am alleinigen Ziel, aus Geld noch mehr Geld zu machen.

Scheidler ortet eine bedenkliche Ignoranz gegenüber den sich zuspitzenden Krisenphänomenen, allem voran den Folgen des Klimawandels sowie den Instabilitäten des Wirtschaftssystems. Den Hauptgrund sieht er in Lobbyinteressen der Reichen und ihrem zunehmenden Zugriff auf die Staatsapparate, was den notwendigen Wandel unterbinde: „Das politische Establishment in den Industrieländern hat sich bisher geweigert, einen grundlegenden Umbau in Richtung sozialer und ökologischer Gerechtigkeit in Angriff zu nehmen.“ (S. 11) Krisen und Zusammenbrüche habe es immer gegeben, neu sei jedoch heute das Stoßen an planetare Grenzen. Nach Scheidler leben wir am Anfang „einer chaotischen Übergangsphase, die mindestens einige Jahrzehnte dauern wird und deren Ausgang völlig ungewiss ist.“ (S. 25)

Ursachen für die „kollektive Realitätsverweigerung“ (S. 27) sieht der Autor in der Entfremdung und Entwurzelung von immer mehr Menschen, in den „Grenzen der Lernfähigkeit“ (S. 89), der Zunahme von Verschwörungstheorien und der geschickten Ablenkung etwa durch das Hochspielen des Terrorismus. Die „globale Apartheid“ (S. 39) werde hingenommen, weil ein allgemeiner Zukunftspessimismus Ressentiments und Nationalismus schüre. Scheidlers zentrale These lautet, dass die Wachstumskrise des globalen Kapitalismus nur mehr durch gigantische staatliche Förderungen („Konzerne am Tropf“, S. 57) hinausgeschoben werde: „Subventionen, leistungslose Einkommen aus Eigentumsrechten und Aneignung durch Schulden. Diese Dreifaltigkeit der Tributökonomie wird immer wichtiger, je instabiler die Weltwirtschaft wird.“ (S. 57) Der Autor listet eine Vielzahl an Subventionen an die „Old Economy“ auf – von der Fossil- über die Automobile- und Flugzeug- bis hin zur Rüstungs- und Finanzwirtschaft.

Beendigung des Tributsystems

Diese Tributzahlungen und die leistungslosen Einkommen zu stoppen, sei der entscheidende Hebel für den Systemwechsel, so Scheidler, weil über die Verwendung von Steuergeldern – zumindest theoretisch – die BürgerInnen bestimmen (und auch über das Steueraufkommen). Die De-Konzentration von Vermögen durch ein anderes Steuersystem, die Neuordnung von Wohneigentum sowie die Weigerung, weiterhin Finanzinstitute zu retten, sind für Scheidler weitere Schritte, sich dem Tributsystem zu entziehen. Seine Überzeugung: „Eine wirksame Trennung von Staat und Kapital würde enorme Freiräume für andere, zukunftsfähigere Wirtschaftsformen schaffen.“ (S. 71)

Wie neue Wirtschaftsformen aussehen könnten, beschreibt Scheidler im zweiten Teil des Buches, der mit „Reorganisation“ überschrieben ist. Neue Unternehmensformen, eine Adaptierung des Eigentumsbegriffs, Ansätze wie die Gemeinwohlökonomie, eine Agrar- und Energiewende, aber auch Reformen in den Schulen, Universitäten und Medien werden dabei angesprochen. Mit „Gatekeepern“ benennt der Autor schließlich  jene Institutionen, die unser Denken und Wahrnehmen prägen. Sie zu verändern, der „Ausfilterung systemischer Fragen“ (S. 157) entgegenzuwirken, unsere Vorstellungskraft zu erweitern und auch neue Formen der Demokratie und Beteiligung zu schaffen, werden ebenfalls zum Wandel beitragen, so der Autor.

Wie andere auch spricht Scheidler von resilienten Strukturen, die sukzessive aufgebaut werden sollen, um den großen Crash zu verhindern: Denn: „Wenn der Ausstieg aus der Megamaschine bereits begonnen wird, während sie noch läuft, gibt es weit bessere Chancen für einen positiven Übergang.“ (S. 94)

Zur globalen Dimension kehrt der Autor im abschließenden dritten Teil über „Chinas (Wieder-)Aufstieg und die Chancen einer neuen Friedensordnung“ zurück. Scheidler beschreibt darin die nicht auf Expansion ausgerichtete Geschichte des chinesischen Reiches und die Hoffnung auf eine neue „euro-asiatische Sicherheitsarchitektur“, die gemeinsam mit einer gewandelten USA  zu einem kooperativen Weltsystem führen könnte, auch wenn die Chancen das darauf bisher nicht am besten stünden.
Kapitalismus: Wandel

Scheidler, Fabian: Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen. Wien: Promedia, 2017. 238 S. € 17,90 [A, D] ISBN 978-3-85371-426-3

„Reiche Interessengruppen, die auch um den Preis eines verwüsteten Planeten ihre Privilegien zu verteidigen suchen, haben ihren Zugriff auf die Staatsapparate in den vergangenen Jahrzehnten erheblich ausweiten können. Als Ergebnis ihres Erfolges wächst das Chaos und die Fliehkräfte nehmen zu.“ (S. 11)

„Die Zeiten, in denen man hoffen konnte, dass es schon irgendwie gut gehen wird, wenn wir weiter einfach unsere Jobs machen und alle vier Jahre zur Wahl gehen, sind vorbei. Wir werden daher aus unseren Zuschauersesseln aufstehen müssen, um uns einzumischen.“ (S. 25)

„Tribut ist eine Abgabe, die ein besiegtes Volk dem Sieger zu erbringen hat. Sich nicht zu unterwerfen, bedeutet, den Anspruch auf Tribut zurückzuweisen.“ (S. 70)