Andreas Gross ist Politikwissenschaftler, Demokratieexperte und war von 1991-2016 Schweizer National- und Europaratsabgeordneter. Bei unserer Tagung „ZUKUNFT:INTERNATIONAL“ präsentierte er zehn „Salzburger Thesen“ zum Verhältnis von Demokratie und Menschenrechten..

Die Demokratie bedarf der transnationalen Verfassung, um auch den Menschenrechten wieder Nachachtung zu verschaffen

1) Die Demokratie ist ein Menschenrecht. Denn ein fremdbestimmtes Leben ist ein unwürdiges Leben. Andere Menschenrechte sind gleichsam Voraussetzungen der Demokratie. Beide erst ermöglichen Freiheit.

2) Angesichts der einseitigen Globalisierung hat der Nationalstaat an Autonomie verloren. So vermag die nationale Demokratie die wirtschaftlichen Märkte heute nicht mehr zu zivilisieren. Im Gegenteil: Heute beschränken die Märkte die natio-nalen Demokratien; letztere sind zum Objekt der ersteren geworden. Das Primat der Politik hat ihr Ende erreicht.

3) Die zügellosen Märkte führten zu riesigen Kapital- und Machtkonzentrationen, enormen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten (Zwischen den Menschen aber auch zwischen den Regionen), sehr ungleich verteilten Lebenschancen (Mithin Ausdruck „struktureller Gewalt“). Jegliche wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte wurden diskreditiert. Dies schlug sich auch in der Erosion der Anerkennung der politischen Menschenrechte nieder.

4) Die unterschiedlichen Kapitel von Menschenrechten – „politisch freiheitliche“ und „sozial, wirtschaftliche“ –  sind Teil eines Ganzen und müssen viel mehr als bisher als Ganzes verstanden werden.

5) Die heute weltweit festzustellende Rückfalltendenz auf die Nation, den Nationalstaat, ist eine emotionale, als solche verständliche, aber illusionäre Reaktion auf die demokratiearme, unsoziale und schutzlose realexistierende internationale Politik (UNO,Völkerrecht, EU sind alles exekutiv-, diplomatisch dominierte Politiken/Sphären auf vertragsrechtlicher, aber ohne Verfassungs-Grundlage).

6) Europa braucht nicht nur mehr Demokratie, die Demokratie braucht auch Europa, die transnationale Ebene. Erst deren Transnationalisierung ermöglicht eine neue Ermächtigung der Demokratie. Nur eine transnationale Demokratie vermag der transnationalen Wirtschaft Grenzen zu setzen, die sie zu Rücksicht auf Menschen und Natur zwingt. Die transnationale Demokratie verschafft der Politik wieder zum Primat und zur Macht gegenüber den Märkten und der Oekonomie; sie schafft Regeln, die letztere einhegt und so zivilisiert.

7) Eine transnationale Demokratie ermöglicht auch die Durchsetzung weiterer Menschenrechte. Der Pioniercharakter der Figur der durch die Individualbeschwerde im Rahmen der EMRK und des Europarats durchgesetzten verbindlichen Schutz der Menschenrechte wird dabei unterschätzt.

8) Es ist das grösste Zeichen der Zeit, dass die EMRK heute nicht verwirklicht werden könnte mit den Regierungen der heute 47 Staaten Europas.

9) Doch die Zeichen der Zeit sind von Menschen gemacht und können so für eine andere Zukunft auch wieder verändert werden. Doch nach Katastrophen lässt sich einfach lernen; vielmehr besteht die grosse Kunst gemäss Friedrich Dürrenmatt darin, ohne Katastrophen zu lernen, klüger zu werden und diese Klugheit auch politisch umzusetzen.

10) Eine Direkte Demokratie, in der sich die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger nicht auf das Wahlrecht beschränkt, ermöglicht mehr kollektive Lernprozesse und schafft bessere Voraussetzungen für eine ohne Katastrophen lernfähige, lernende Gesellschaft. Mehr Demokratie bedeutet somit auch mehr Menschenrechte, beziehungsweise mehr Respekt und Nachachtung für die Menschenrechte.

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