In der 49. Ausgabe der JBZ-Reihe „Zukunftsbuch“ präsentierten Univ. Prof. Max Haller (Akademie der Wissenschaften), Vizerektorin Sylvia Hahn (Universität Salzburg), Univ. Prof. Johann Bacher (Johannes Kepler Universität Linz) und Assoz. Prof. Wolfgang Aschauer (Universität Salzburg) vor 70 BesucherInnen den Sammelband „Migration und Integration: Mythen und Fakten“. Das Buch skizziert siebzehn aktuelle Mythen in der öffentlichen Debatte zur Migration und überprüft diese kritisch. Die ReferentInnen stellten einige der Mythen vor und zeigten, dass diese einer empirischen Untersuchung nicht standhalten.

Hier ein Bericht zur gemeinsamen Veranstaltung mit der Universität Salzburg, die im Rahmen von „Dialog 2019. Der Salzburger Weg der Integration“ ausgerichtet wurde.

Fünf Thesen zur Mythenbildung über Migration

Der Herausgeber des Buches, Max Haller, stellte dem Publikum zunächst fünf Strategien der politischen und medialen Kommunikation vor, die Fakten zum Thema Migration stark verzerren: Zunächst verdreht eine selektive Auswahl und die Hervorhebung einzelner Fakten die Realität, etwa wenn unvollständig über Ausländerkriminalität berichtet wird – was häufig zum Mythos führt, dass Zuwanderung die Kriminalitätsrate eines Landes erhöhe. Statistisch kann so ein Zusammenhang nicht nachgewiesen werden. Weiters werden oft Teil- und Halbwahrheiten präsentiert, etwa beim Mythos, dass in manchen Gegenden mittlerweile mehr MigrantInnen als ÖsterreicherInnen leben würden. Auch dies ist mit Populationsdaten einfach zu widerlegen. Klassiker in der politischen Kommunikation ist das Verwenden von Stereotypen und Vorurteilen bzw. von offenen Lügen und falschen Behauptungen. Als fünfte Strategie nannte Haller die Erfindung politischer Mythen: Diese verfestigen sich, wenn Stereotypen über Migration und MigrantInnen so stark verfestigt werden, dass auch falsche Aussagen als selbstverständlich und wahr angesehen werden. Einer dieser Mythen ist, dass MigrantInnen ÖsterreicherInnen vom Arbeitsmarkt verdrängen – doch obwohl die Beschäftigungsquote bei AusländerInnen steigt, ist die Arbeitslosigkeit in Österreich niedrig bzw. aktuell sogar im Sinken begriffen. Wenn es zu Verdrängungseffekten kommt, finden diese in der Regel innerhalb migrantischer Milieus statt, etwa wenn alte Gastarbeiter durch Neuankömmlinge ersetzt werden, so Haller.

Fünf Thesen
Selektive Auswahl und Hervorhebung einzelner Fakten und Daten
Präsentation von Teil- und Halbwahrheiten
Entwicklung und Verfestigung von Stereotypen und Vorurteilen
Aufstellen falscher Behauptungen, Lügen
Erfindung politischer Mythen

Migration ist kein historisches neues Phänomen

Sylvia Hahn widmete sich dem Mythos, dass es noch nie so viel Migration wie heute gegeben hätte – tatsächlich ist Migration jedoch ein Phänomen, welches die Menschen seit Anbeginn ihrer Geschichte begleitet. Gleichzeitig wurden MigrantInnen vom sesshaften Teil der Bevölkerung immer mit Skepsis betrachtet – Sesshaftigkeit galt als respektabel, Wanderung als zweifelhaft, so Hahn. Auswanderungsgesetze wurden daher seit dem 15. Jahrhundert umgesetzt, während gleichzeitig etwa europäische Binnenmigration immer Realität war. Für damals wie heute gilt, dass Migration vor allem dann zunimmt, wenn es starke Wohlstandsgefälle gibt – neben der Rolle von Kriegen und Vertreibung, die etwa im 20. Jahrhundert die größten Auslöser von Migration waren, vor allem in Europa. Hahn nannte folgende Zahlen: Waren Anfang des 19. Jahrhunderts ca. 1,3 Prozent der Weltbevölkerung MigrantInnen, sind es heute ca. 3,8 Prozent. Angesichts der großen Revolution im Bereich der Mobilität ist dies ein viel geringerer Anstieg, als man erwarten könnte.

Hoher Migrantenanteil verringert schulische Leistungen, Ursachen sind komplex, mehr Förderungen notwendig

Der Frage, ob ein hoher Ausländeranteil in Schulen die Qualität der Bildung senke, widmete sich Johann Bacher. Anhand der Lesekompetenz wurde gemessen, ob diese Aussage zutrifft. Generell haben derzeit ca. 25 Prozent aller SchülerInnen in Österreich Migrationshintergrund in erster oder zweiter Generation – allerdings ist die Verteilung hier sehr ungleich und vor allem in städtischen Räumen sind Schulen mit hohem MigrantInnenanteil Realität. Tatsächlich weist Johann Bacher nach, dass ab einem Überschreiten des MigrantInnenanteils von ca. einem Drittel in einer Schule die Lesekompetenz sinkt. Hier kommen zwei Aspekte zum Tragen: Einerseits der sozio-ökonomische Hintergrund der Eltern, der gleichermaßen bei Kindern mit und ohne Migrationshintergrund eine entscheidende Rolle spielt und der bei MigrantInnen häufig prekärer ist. Andererseits die Schulebene, die noch nicht ausreichend erforscht sei, so Bacher. Doch zeige sich, dass Schulen mit hohem MigrantInnen-Anteil mit zu wenig Ressourcen ausgestattet sind. Zudem gelten der geringere Gebrauch von Deutsch, niedrigere Leistungserwartungen an die SchülerInnen sowie die Leistungsverweigerung auf Grund von Diskriminierungserfahrungen als wahrscheinliche Einflussfaktoren. Fazit: Schulen sollen gut durchmischt sein, etwa durch flexible Schuleinschreibung, zudem brauche es eine adäquate Finanzierung von „Brennpunktschulen“ (Bacher sprach von „sozialindizierter Ressourcenzuteilung“) sowie klare Zielvorgaben für die Schulen.

Muslime als neues Feind- und Angstbild – differenzierte Sicht gefordert

Der letzte Vortrag des Abends widmete sich dem Thema Islam. Wolfgang Aschauer brachte aktuelle Daten des Social Survey 2018, demgemäß 87 Prozent der befragten ÖsterreicherInnen meinen, Menschen mit muslimsicher Religion müssten sich der Kultur in Österreich anpassen. 79 Prozent sprachen sich für die Bewachung muslimischer Vereine durch den Staat aus und 72 Prozent meinten, dass Muslime keine Bereicherung für Österreich darstellen. Aschauer entkräftigte gleich drei gängige Mythen mit Hilfe von Statistik: Einfach zu widerlegen ist der Mythos, dass die meisten MigrantInnen MuslimInnen seien: Tatsächlich gibt es ca. 700.000 MuslimInnen in Österreich – von 1.900.000 Menschen mit Migrationshintergrund. Bekannterweise stellen Deutsche die größte Gruppe unter den MigrantInnen, gefolgt von Menschen aus Ex-Jugoslawien, der Türkei und osteuropäischen Staaten. Afghanen und Syrerinnen sind in der Statistik weit abgeschlagen. Was den Mythos anbelangt, dass die Zahl der MuslimInnen rasant wachse, gibt es zwei Szenarien: Bei starker Migration werde der Anteil von MuslimInnen in Österreich 21 Prozent bis 2046 ausmachen, bei schwacher Zuwanderung 12 Prozent. Im Zusammenhang mit dem Mythos, dass eine schleichende Islamisierung unter Österreichs MuslimInnen stattfinde, plädierte Wolfgang Aschauer für eine differenzierte Sichtweise: So gebe es einzelne Communities, die sehr religiös seien (TschetschenInnen, SomalierInnen, AfghanInnen), andere, in denen ein pragmatischer Zugang zur Religion vorherrsche. Bei MuslimInnen mit österreichischer Staatsbürgerschaft sei die Religiosität gering ausgeprägt.

Im Anschluss an die Vorträge gab es zahlreiche Fragen und Beiträge aus dem Publikum, etwa zur Verbesserung der Situation an Schulen. Es war ein spannender und bereichernder Abend, der viele verzerrte Bilder gerade rückte. Danke an alle ReferentInnen und Partner! Das lesenswerte Buch ist um 18,90 €uro in Buchhandlungen erhältlich.

Bericht und Fotos: Birgit Bahtic-Kunrath, Moderation: Hans Holzinger (beide: JBZ)