Er bleibe Optimist, aber als Sozialwissenschaftler versuche er, die Dinge nüchtern zu analysieren, so Ingolfur Blühdorn von der WU Wien in der 149. Montagsrunde am 6. Juli 2020. Diese Analysen haben es in sich. Die mangelnde Steuerungsfähigkeit unserer komplexen ausdifferenzierten Gesellschaften, bestehende Herrschaftsverhältnisse in unserem Wirtschaftssystem oder zu wenig Aufklärung mögen Gründe dafür sein, dass die ökologische Wende nicht gelingen mag. Der entscheidende Punkt sei jedoch, so Blühdorn, dass unsere Vorstellungen von Freiheit und einem guten Leben der Nachhaltigkeit diametral entgegenstehen. Und diese Vorstellungen seien unverhandelbar, der gebotene Wandel daher nicht mehrheitsfähig. Der Vortrag und die Diskussion sind auf JBZ TV anzusehen.

„Das gute Leben für alle sei zwar eine schöne Utopie, aber eben nicht für alle machbar“, so umriss Blühdorn jene Einstellung, die sich derzeit breit mache. Appelle an eine gemeinsame Verantwortung oder an eine Weltgemeinschaft würden im „Me first“-Denken verpuffen. Und der Katastrophendiskurs von Umweltbewegten greife auch nicht. Denn nicht der Planet oder die Menschheit insgesamt sei bedroht, sondern nur Teile davon. Die „Denkfigur der Katastrophe“ oder jene der „Rache der Natur“ verfehle seine Wirkung. Verdrängung sei angesagt nach dem Motto: „Ist ja nicht mein Regenwald. Ich möchte mein billiges Fleisch auch weiterhin genießen.“

Die Waldbrände im letzten Jahr, die Demonstrationen von Fridays for Future oder die Erfolge der Grünen bei den Europawahlen hätten ein Zeitfenster für die Ökowende geöffnet. Die Corona-Pandemie habe dieses wieder geschlossen, so Blühdorn, der Hoffnungen auf einen Paradigmenwechsel im Zuge der Krise nicht erkennen wollte. Er bezog sich hier direkt auf das JBZ-Arbeitspapier „Wann lernen Gesellschaften?“ Angesagt sei eher die rasche Rückkehr zur alten Normalität. Die Krise des Kapitalismus sei nun mit gigantischen Konjunktur- und Rettungspaketen ein weiteres Mal aufgeschoben worden, man habe noch einmal Zeit gekauft, meinte der Soziologe in Anlehnung an Wolfgang Streek („Gekaufte Zeit“).

Wo sieht Blühdorn, der vor kurzem mit KollegInnen das Buch „Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ verfasst hat, Auswege? Notwendig sei ein attraktives Gegenmodell einer besseren Welt, wir täten uns aber schwer, dieses Mehrheiten als attraktiv zu vermitteln.

Resümee: Blühdorns nüchterner Blick ist wichtig, um uns nichts vorzumachen. Aber vielleicht wird er doch nicht Recht behalten. Häufigkeitsverdichtungen von Krisen wie von Neuansätzen könnten durchaus dazu führen, dass die Ökowende doch noch gelingt.

Bericht: Hans Holzinger