Bildung ist ein individueller Prozess. Es geht um die Aneignung von Wissen, Fertigkeiten, neuen Werten und Verhaltensweisen. In der Reihe Projekte des Wandels sprachen wir mit Mitgliedern des Salzburger Netzwerks „Bildung für nachhaltige Entwicklung und globales Lernen“ über die Frage, wann ganze Gesellschaften lernen und welchen Beitrag dazu Bildung leisten kann. Nachzusehen sind die Statements auf JBZ TV. Hier ein Bericht.

Transformationsforschung beschäftigt sich mit den Gelingensfaktoren und Barrieren des Übergangs zu nachhaltigen Gesellschaften. Analog dazu geht es bei Transformationsbildung nicht nur um die Frage, was einen nachhaltigen Lebens- und Konsumstil ausmacht, sondern auch um die gesellschaftlichen Bedingungen für Nachhaltigkeit, so Hans Holzinger in der Einführung ins Thema. Wichtig sei die gemeinsame Reflexion über individuelle und gesellschaftliche Barrieren für den Wandel, etwa Verdrängung und Kurzfristdenken, über Zuständigkeiten, Verantwortungsbereiche und Akteurskonstellationen. Bildung für nachhaltige Entwicklung erfordere daher systemisches Denken und sei insbesondere auch (wirtschafts)politische Bildung. Wann lernen nun Gesellschaften? Holzinger zitierte vier Zugänge der Transformationsforschung: Lernen aus Schaden, aus Einsicht, durch Vorbilder und durch neue Regeln. Alle Aspekte würden in Transformationsprozessen eine Rolle spielen. In der Coronakrise habe die Politik Handlungsfähigkeit gezeigt, andererseits nehmen die Widerstände gegen die Maßnahmen zu, Widerstände, die auch bei Klimamaßnahmen zu erwarten seien. Zudem habe die Pandemie wie ein soziales Brennglas gewirkt und soziale Benachteiligungen noch stärker bewusst gemacht. Für die Klimawende müsse man daraus lernen, dass Veränderungen sozial ausgewogen erfolgen.[Mehr siehe Holzingers JBZ-Arbeitspapier „Wann lernen Gesellschaften?“ und sein Buch „Post-Corona-Gesellschaft“.

Im Gespräch mit Salzburger Expertinnen und Expertinnen, die teilweise bereits sehr lange im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung tätig sind, wurden weitere Aspekte angesprochen. Heidi Grobbauer von KommEnt ist Leiterin des Universitätslehrgangs „Global Citizenship Education“. Global Citizenship Education stellt die Zugehörigkeit jedes Einzelnen zur Weltgemeinschaft in den Mittelpunkt und will das Bewusstsein für unsere Rolle und Möglichkeiten als Weltbürger*innen fördern. Sie betonte, dass Gesellschaften in der Tat vor allem aus Krisen lernen, in der Bildung sei aber auch auf die pädagogische Hoffnung zu setzen, dass das Lernen von Individuen letztlich auch zum Lernen von Gesellschaften beiträgt.

Dies bestärkte Sonja Schachner-Hecht, Bildungsreferentin des Vereins Südwind Salzburg. In Workshops mit Kindern und Jugendlichen vermittelt sie zum einen Wissen über globale Zusammenhänge, etwa zur Frage, wer unsere Produkte unter welchen Bedingungen produziert. Zum anderen gehe es um die Entwicklung einer globalen Ethik. Notwendig seien demokratische Aushandlungsprozesse, um durch neue Bewertungen auch zu neuen Werten zu gelangen.

Jakob Reichenberger ist Direktor von St. Virgil Salzburg, einem kirchlichen Bildungszentrum der Erzdiözese Salzburg, das – sowie die JBZ – Partner der Energie- und Klimastrategie „Salzburg 2050“ ist. Er betonte die Auseinandersetzung mit neuen Routinen und die Schaffung von Strukturen, die diese ermöglichen. Als aktuelles Beispiel hierfür nannte er das Tragen von Masken als Vorbeugemaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus. Auch die Ökowende werde solche neuen Routinen erfordern.

Christa Wieland, als Referentin des Salzburger Bildungswerks für die Bereiche Entwicklungszusammenarbeit und Nachhaltigkeit zuständig, verwies insbesondere auf die Wichtigkeit von Feedback im Kontext von Lernerfahrungen sowie auf Vorbildwirkung. Menschen hätten ein feines Sensorium für konsistentes Verhalten und würden Widersprüche und Inkonsequenzen genau wahrnehmen, etwa in der Kommunalpolitik.

Menschen leben an Orten und sind in Regionen eingebunden, so der Ansatz von Christian Vötter, Geschäftsführer von TAURISKA mit Sitz in Neukirchen am Großvenediger. Angesprochen werden könnten Menschen auch mit Kulturveranstaltungen und insbesondere mit konkreten Initiativen etwa zur Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe und Wertschöpfung – im Sinne des menschlichen Maßes nach Leopold Kohr.

Michael Walter unterrichtet an der Rudolf-Steiner-Schule Salzburg. Er ist UNESCO Schulreferent und Leiter des Umweltteams der ÖKOLOG-Schule. Er betonte den ganzheitlichen Ansatz von Bildung, der Wissen, musische, kreative und handwerkliche Betätigung umfasse. Als Beispiel nannte er den von den Schülerinnen und Schülern seiner Einrichtung betreuten Garten, der Lern- und Handlungsfeld sei.

Um Naturerfahrung ging es auch in den letzten Beiträgen. Brigitte Drabeck, Co-Leiterin der Regionalstelle des Klimabündnis Österreich, ist u.a. für die Klimabündnis-Partnerschaft am Rio Negro in Brasilien zuständig. Von den Indigenas könnten wir, so ihr Hinweis, den ökosystemischen Blick und das Eingebunden-Sein in die Natur, aber auch Beharrlichkeit im Verfolgen von Zielen lernen. Und: Ein transkultureller Blick könne zur Delegitimierung alter Sicht- und Handlungsweisen beitragen.

Den Schlusspunkt setzte Hannes Augustin, Geschäftsführer des Naturschutzbundes Salzburg, der sich für den Erhalt von Naturräumen und Artenvielfalt einsetzt. Auch er betonte die Notwendigkeit eines kollektiven Erdsystembewusstseins und ein Aufmerksam-Sein für das, was uns umgibt. Mit Exkursionen und Kursen in der Natur könne Wissen über ökologische Zusammenhänge sowie Sensibilität für die Schönheit der Natur angeeignet werden.

Den Beiträgen folgte eine lebhafte Diskussion mit dem Online-Publikum. Die via Chat eingebrachten Fragen sammelte Carmen Bayer, die auch für die Technik und das Schneiden des Videos verantwortlich zeichnete. Die Veranstaltung war Teil der von mehreren Salzburger NGOs durchgeführten Reihe „Corona Lectures“. Das Salzburger Netzwerk „Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen“ ist ein Zusammenschluss von Salzburger Bildungseinrichtungen mit dem Ziel der gemeinsamen Reflexion, des Austauschs und des Sichtbarmachens von einschlägigen Bildungsaktivitäten in Salzburg.