Dominik Öllerer, Verfasser der wissenschaftlichen Publikation „Schulden ohne Ende? Schuld und Verschuldung in Österreich“, war am 14. Oktober 2021 zu Gast bei der 69. Ausgabe unserer Reihe JBZ-Zukunftsbuch. Seine Ausführungen machten deutlich, dass es unterschiedliche Diskurse über Privatverschuldung mit unterschiedlichen Folgen für die Betroffenen gibt. Der Vortrag kann auf JBZ TV nachgesehen werden.

Verschuldete seien selbst Schuld an ihrer Verschuldung, weil sie zu wenig gut mit Geld umgehen können, so eine landläufig vertretene Meinung. Eine weitere Erklärung verweist auf die Verführungen der modernen Konsumgesellschaft, etwa durch die Anpreisung des Kaufs von Autos oder anderen Produkten über Ratengeschäfte. Dominik Öllerer verwies in seinem Vortrag auf einen dritten Aspekt, die Verknüpfung von Schuld und Macht. Die zentrale These des Autors lautet: Die Schuldverhältnisse, also jene rechtlichen und sozioökonomischen Bedingungen unter denen Verschuldung und Entschuldung geschieht, haben einen massiven Einfluss auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Anders als das zwischenmenschliche Prinzip „Du schuldest mir noch etwas“ im privaten Bereich seien vertraglich festgelegte Schuldverhältnisse einklagbar. Das Dilemma der Schuldknechtschaft sei aus der Geschichte gut bekannt und es gab immer wieder Schuldenerlässe. Verschuldete, die in die Zahlungsunfähigkeit schlittern, würden heute zwar nicht mehr in den Schuldturm gesperrt, aber bis auf ihre Grundbedürfnisse gepfändet. Zudem gäbe es nach wie vor eine gesellschaftliche Ächtung, so Öllerer.

Öllerer brachte in seinem Vortrag aufschlussreiche Zahlen: 49 Prozent der Östereicher:innen finanzieren Konsum durch Kredit, laut EU haben hierzulande 51 Prozent der Bevölkerung Schulden, 748.000 Personen weisen „Zahlungsrückstände“ auf, das heißt sie sind überschuldet. 160.000 Personen hatten laut Sozialbericht 2015-2016 zu Mitte des Jahrzehnts massive Zahlungsprobleme. Stark zugenommen haben, so Öllerer, Insolvenzen von Ein-Personen-Unternehmen. Das neoliberale Credo habe viele Arbeitslose dazu gedrängt, sich selbstständig zu machen, was diesen Trend erkläre. Der historische Konflikt zwischen GläubigerInnen und SchuldnerInnen spiegelt sich auch heute noch in den Normen des Insolvenzrechts wider, so der Autor.

Erhellend sind die Gründe für Überschuldung und Privatinsolvenz. Laut Schuldenreport 2017 der Schuldnerberatung Österreich waren 2016 37 Prozent der Überschuldung auf Arbeitslosigkeit bzw. Einkommensverschlechterung zurückzuführen, 21 Prozent auf gescheiterte Selbstständigkeit, 18 Prozent auf einen fehlerhaften Umgang mit Geld, 14 Prozent auf Scheidung bzw. Trennung und 11 Prozent auf Wohnraumbeschaffung. Bei den Gründen für Privatinsolvenzen rangiert ehemalige Selbstständigkeit mit 31 Prozent an vorderster Stelle, gefolgt von Einkommensreduktion mit 21 Prozent und einem Verschuldungsvorsatz mit 19 Prozent. Lebenskrisen (12 Prozent), persönliche Probleme (11 Prozent) und familiäre Lasten (7 Prozent) haben dagegen weniger Bedeutung.

Öllerer begrüßte Aufklärungsmaßnahmen etwa über die Gefahren von Ratengeschäften, plädierte aber auch für eine Enttabuisierung von Verschuldung und eine „Kultur des Scheiterns“ sowie für faire Einkommens- und Vermögensverhältnisse, was in der dem Vortrag folgenden Diskussion mehrfach bekräftigt wurde.

Bericht: Hans Holzinger Fotos & Video: Carmen Bayer