In der 72. Ausgabe unserer Reihe JBZ-Zukunftsbuch präsentierten wir den Sammelband „Klimasoziale Politik“, herausgegeben von der Österreichischen Armutskonferenz, der NGO attac sowie vom Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen BEIGEWUM. Zu Gast waren drei Autorinnen, die Sozioökonomin Clara Moder, die Volkswirtschaftlerin Julia Litofcenko sowie die Soziologin Julia Eder. Hier geht es zum Video auf JBZ TV.

Häufig wird argumentiert, dass sich Klimapolitik und Sozialpolitik einander widersprechen, wirksame Klimapolitik die Einkommensschwächeren benachteiligt. Wir könnten uns wirksame Maßnahmen daher nicht „leisten“. Der Band „Klimasoziale Politik“ argumentiert umgekehrt: Aus einer kri­ti­schen sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Per­spek­ti­ve beleuch­ten die insgesamt 38 Autor:in­nen in 20 Beiträgen, wie eine Ver­bes­se­rung der Lebens­ver­hält­nis­se durch eine kli­maso­zia­le Poli­tik aus­se­hen kann. Eine Mobilitätswende mit bedeutend weniger Autoverkehr in den Städten entlastet jene, die sich nur Wohnungen an vielbefahrenen Straßen leisten können, so ein Beispiel. Wertvolle Lebensmittel für alle tun nicht nur dem Klima gut, sondern auch unserer Gesundheit, so ein anderes Beispiel. Gefordert werden faire Verteilungsverhältnisse, sinnvolle Arbeitsplätze und ein Finanzsystem, das die sozialökologische Transformation voranbringt. Klimapolitik wird als Querschnittaufgabe gesehen, die Beiträge widmen sich daher der Wirtschafts-, Rohstoff- und Finanzpolitik ebenso wie der Sozial-, Gesundheits-, Steuer-, Mobilitäts-, Wohn- und Migrationspolitik.

Clara Moder: „Klimaerhitzung und soziale Kälte gemeinsam anzugehen“

Unser Ziel war es, die Klimaerhitzung und soziale Kälte gemeinsam anzugehen und dabei auch grundlegende Umsteuerungen vorzuschlagen, so Clara Moder vom Redaktionsteam, die als Referentin für arbeitsmarkt- und sozialpolitische Grundlagen bei arbeit plus arbeitet und Mitglied der AG Sozialpolitik der Österreichischen Armutskonferenz ist. Alle Beiträge seien gemeinsam diskutiert worden, neben Bestandsaufnahmen zur Klimakrise sowie zur österreichischen Klimapolitik sollten für ein breites Publikum verständlich Zukunftsvorschläge für alle relevanten Gesellschafts- und Politikbereiche gemacht werden. Als Schritte für eine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik für eine klimagerechte Gesellschaft nannte Moder sozialökologische Infrastrukturen, die Aufwertung öffentlicher Leistungen sowie die Schaffung sinnvoller Arbeitsplätze. Mit einer Jobgarantie, über die notwendige, aber am Markt nicht angebotene Leistungen erbracht werden können, soll die Angst vor Arbeitslosigkeit verringert werden. Laut einer im Buch zitierten finnischen Studie verursacht ein ausgegebener Euro für öffentliche Sozialleistungen nur halb so viele Emissionen wie ein durchschnittlicher Euro an Ausgaben der privaten Haushalte. Das Autor:innenteam fordert daher eine breitere Aufstellung der öffentlichen Haushalte durch die stärkere Heranziehung der Vermögenden. Eine CO2-Steuer, die tatsächlich Wirkung zeigt – vorgeschlagen werden 100-160 Euro pro Tonne -, sollte mit einem sozial gestaffelten Klimabonus verbunden werden (Anmerkung: die neu eingeführte CO2-Steuer in Österreich erreicht beides nicht: sie beträgt heuer 30 Euro pro Tonne CO2 und soll in den nächsten Jahren auf 50 Euro steigen, die Rückerstattung ist regional, nicht sozial gestaffelt). Moder plädierte für eine „Klimasozialversicherung“, die einkommensschwächere Haushalte bei der Reduktion von Treibhausgasen unterstützen und Klimamaßnahmen sozial abfedern soll. Arbeitszeitverkürzungen sollen den Wachstumszwang überwinden, wobei der volle Lohnausgleich nur bei niedrigen Einkommen gegeben werden soll, um Reboundeffekte durch Mehrkonsum zu verhindern.

Julia Litofcenko: „Verbot von Dirty Finance und Demokratisierung der Investitionsentscheidungen“

Julia Litofcenko, Assistentin am Institut für Nonprofit Management der Wirtschaftsuniversität Wien und Mitglied bei FinanzAttac, kritisierte das Greenwashing an den Finanzmärkten. Es würden „grüne Investments“ in der Öffentlichkeit hervorgehoben, die nach wie vor großen Investitionen in die Fossilindustrie jedoch verschwiegen. Seit 2015, dem Jahr des Pariser Klimaabkommens für die Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 1,5 Grad, hätten die 35 größten Banken der Welt weitere 2,2 Billionen Euro in die fossile Vergangenheit investiert. Auch österreichische Banken seien nach wie vor involviert: Raiffeisen International habe seit 2015 1,9 Mrd. Euro und die Erste Bank 1,5 Mrd. Euro in die drei klimaschädlichsten europäischen Kohlekonzerne investiert. Profitinteressen und die dringend benötigte Klimawende seien miteinander nicht vereinbar. Die Finanzlobby habe eine Kennzeichnung klimaschädlicher Investitionen verhindert, stattdessen würden nur „grüne“ Finanzprodukte hervorgehoben, so Litofcenko. In ihrem mit Kolleg:innen verfassten Buchbeitrag fordert die attac-Aktivistin das Verbot von „Dirty Finance“, als ersten Schritt zumindest den Ausstieg der EZB aus klimaschädlichen Anleihekäufen. Die grüne Wende brauche viel Kapital, aber neben ökologischen Investments gehe es darum, die umweltschädlichen Kapitalströme zu unterbinden. Notwendig sei ein grundsätzlicher Umbau des Finanzsystems: Kredit-, Investitions- und Finanzmarktentscheidungen müssten demokratisiert, die großen Banken in kleinere zerlegt werden, die Staatsfinanzierung sollte dem Finanzsektor entzogen werden.

Julia Eder: „Wir brauchen eine neue Industriepolitik für die sozialökologische Transformation“

Im dritten Input skizzierte Julia Eder, Entwicklungsforscherin und Doktorandin für Soziologie an der Im dritten Input skizzierte Julia Eder, Entwicklungsforscherin und Doktorandin für Soziologie an der Johannes Kepler-Universität Linz, Perspektiven einer anderen Industriepolitik. „Produktion zukunftsfähig machen“ ist ihr Beitrag im Buch übertitelt. Energie und Industrie seien in Österreich für über 40 Prozent der Treibhausgase verantwortlich (exakt: 43,4 Prozent im Jahr 2018). Der Produktionssektor umfasse mit den vor- und nachgelagerten Tätigkeiten ca. 2,5 Mio., also mehr als die Hälfte der 4,3 Mio. Arbeitsplätze in Österreich. Der Transformation der Industrie komme daher für den Klimaschutz eine wichtige Rolle zu, zudem gehe es um die soziale Absicherung vieler Arbeitnehmer:innen, die verunsichert sind. Da Umbaupläne eingesetztes Kapital teilweise entwerten werden, gäbe es große Abwehr und Blockaden, so Eder. Großkonzerne hätten viel Macht, Veränderungen abzuwehren, die vielen Klein- und Mittelbetriebe häufig nicht genügend Ressourcen, um sozialökologische Änderungen umzusetzen. Eder schlägt daher vier Säulen der Transformation vor: 1) Die Schaffung von Fonds für die Unterstützung von Betrieben für den sozial-ökologischen Umbau, wobei Förderungen an konkrete Bedingungen zu knüpfen seien. 2) Die Stärkung regionaler und lokaler Wirtschaftskreisläufe. 3) Eine gerechte Verteilung der Gewinne. Schließlich 4) eine Verbreiterung der Eigentumsverhältnisse, um die Übermacht transnationaler Konzerne zu brechen. Notwendig sei mehr Wirtschaftsdemokratie, wie es im Buchbeitrag heißt: „Welche Produkte überhaupt hergestellt werden und welche Eigenschaften diese besitzen sollen, sollte nicht von den Konzernen alleine, sondern unter Einbeziehung der Betriebsbelegschaften, der Sozialpartner:innen, aber auch der breiteren Bevölkerung beschlossen werden.“ Eine Industriestrategie für eine sozial-ökologische Transformation brauche politische Mehrheiten, so Eder weiter. Sie schlägt daher „Plattformen für den Dialog“, eine Koalition oder Allianz aus Unternehmen, Sozialpartnern, Forschungseinrichtungen, Nicht-Regierungsorganisationen sowie politischen Parteien vor.

Den Inputs folgte eine angeregte Diskussion, in der u.a. ein sozialökologisches Beschaffungswesen, die Rolle des öffentlichen Sektors sowie Umsteuerungsstrategien im Kontext der knapper werden Zeit für die Transformation vertiefend besprochen wurden. Resümee: Ein spannender Abend über ein wichtiges Buch, das blinde Flecken des Klimadiskurses füllt. Der wissenschaftlich fundierte, zahlreiche Studien zitierende und Zukunftsvorschläge unterbreitende Sammelband ist im Buchhandel sowie bei den herausgebenden Organisationen erhältlich.

Moderation und Bericht: Hans Holzinger. Chat-Betreuung und Videoschnitt: Carmen Bayer Foto: Martina Berthold