Karipbek Kuyukov setzt sich als Opfer der Atombombentest in Semipapalatinsk für eine nuklearfreie Welt ein
Einer der Ausgezeichneten ist Karipbek Kuyukov. „Ich spreche im Namen aller überlebenden und aller toten Opfer von Atomwaffen“, sagte der Mann aus Kasachstan, der als Folge der Strahlenbelastung durch die Atombombentests in Semipalatinsk ohne Arme auf die Welt gekommen ist und sein Leben und seine Kunst – aufrüttelnde, mundgemalte Mahn-Bilder – dem Ziel gewidmet hat, „dass niemand mehr unter den schrecklichen Folgen atomarer Waffenproduktion und Waffeneinsatzes zu leiden“ hat. In Salzburg wurde ihm dafür der Nuclear-Free Future Award in der Kategorie Aufklärung verliehen. „Ich appelliere an die Weltöffentlichkeit, ihre Anstrengungen zu bündeln für die vollständige Vernichtung von Atomwaffen“, sagte er, als er den Preis entgegennahm.
Die Britin Linda Walker wiederum, die in der Kategorie „Lösungen“ mit dem NFFA ausgezeichnet wurde, hilft seit 1995 über ihre Organisation Chernobyl’s Children Kindern aus verstrahlten Regionen in Weißrussland, indem sie ihnen in England jenseits jeglicher Strahlenbelastung Zeiten zur Erholung bietet. „Das Preisgeld des NFFA wird unsere Arbeit inspirieren – und uns helfen, eine „Beyond Nuclear“-Initiative in Großbritannien zu errichten.“ Wie wichtig die wiederum ist, zeigt der Verweis auf Hinkley Point: Dort planen die Briten ein neues Atomkraftwerk und garantieren dem Erbauer Areva 12 Cent pro Kilowattstunde zuzüglich Inflationsausgleich. Vergleicht man diese Kosten mit den heute schon deutlich unter zehn Cent liegenden Kosten von Sonnen- und Windstrom, so bleibt nur ein Schluss übrig: dieses Projekt gleicht volkswirtschaftlichem Harakiri, so Linda Walker.
Jeffrey Lee erhielt den NFFA in der Kategorie Widerstand und kämpfte erfolgreich gegen eine Uranmine in Australien
Jeffrey Lee erhielt den NFFA in der Kategorie Widerstand. Der Aborigine schlug Millionen aus und sorgte in seiner Heimat Koongarra dafür, dass das Land seiner Vorfahren vor Uran-Abbau und dem Zugriff des französischen Atomkonzern Areva bewahrt wurde. Jetzt ist es in den Kakadu-Nationalpark integriert und als Teil des Weltkulturerbes dauerhaft unter Schutz gestellt. „Der Areva-Konzern hat nicht mit der Widerstandskraft eines Menschen gerechnet und nur die Tonnen gezählt, die er abbauen kann“, würdigte Laudatorin und ICAN-Mitglied Susi Snyder den Australier, der aus privaten Gründen nicht am Festakt teilnehmen konnte, aber durch eine Videobotschaft vertreten war. „Wenn sich nicht jemand wie er für eine Sache einsetzt, wird nichts besser. Wirklich nicht!“, so Snyder, die die Profitgier von Konzernen und mitmachende Regierungen für die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Ureinwohnern anprangerte.
Widerstand mit langem Atem gilt auch für Didier und Paulette Anger, die sich seit den frühen 1970-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegen Atomkraft engagieren. Denn sie haben deren verschiedene Facetten direkt vor ihrer Haustür in Les Pieux in der Normandie erlebt: In La Hague ging 1966 die Wiederaufarbeitungsanlage in Betrieb, am Bahnhof von Valognes trafen jahrzehntelang abgebrannte Brennstäbe aus Deutschland ein, im Hafen von Cherbourg wurden aufbereiteter Atommüll und MOX-Brennelemente nach Japan verschifft, dort liefen französische Atom-U-Boote ein und aus. Übrigens: Auch Robert Jungks „Der Atomstaat“ beginnt mit einer Reportage über die Arbeiter der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague. In Flamanville schließlich ging 1985 der erste Reaktorblock ans Netz. Der dritte ist seit 2005 in Bau und will nicht fertig werden. Für ihr jahrzehntelanges Engagement wurden sie mit einem Ehrenpreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. „Überall auf der Welt gehen die kommerziellen Interessen der Hochfinanz, des Privat- wie Staatskapitalismus über die Sicherheit der Allgemeinheit“, sagte Paulette Anger bei der Preisübergabe und setzte ihre Botschaft dagegen: „Ni nucléaire, ni effet de serre! – „Nein zu Atomkraft und Treibhauseffekt!“ Heinz Stockinger, Mitbegründer der Plattform gegen Atomgefahren in Salzburg und exzellenter Kenner der französischen Atompolitik würdigte in seiner Laudatio das politische Engagement der beiden.
Den Schlusspunkt des Festakts setzte Peter Weish, geboren 1936 in Wien und so etwas wie der Vater der österreichischen Anti-Atom-Bewegung. Seit 1969 ist er erklärter Gegner der Atomkraft, aber dank seiner Mitarbeit am Institut für Strahlenschutz im Reaktorzentrum Seibersdorf südlich von Wien ein Insider und Kenner der Nukleartechnik. Zu einem Großteil ist es ihm zu verdanken, dass das AKW Zwentendorf nie ans Netz ging. „Seither hat sich vieles verändert“, sagte der ebenfalls mit einem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnete Weish. „Schlachten wurden gewonnen, aber die Atomindustrie ist weit von ihrem Ende entfernt. Das Beispiel Hinkley-Point-Projekt zeigt uns, wie eng verflochten die zivile und militärische Atom-Industrie sind. Wer Frieden will, muss die Gründe für Krieg und Gewalt verstehen. Atomkraft ist einer!“ Am Beispiel der Abstimmung gegen Zwentendorf machte Weish aber auch deutlich, wie wichtig ziviler Widerstand jedes einzelnen sei. 30.000 Stimmen hätten damals den Ausschlag für das Nein gegeben. Beeindruckend war auch die Laudatio der 17-jährige Schülerin Raphaela Kordovsky, die Peter Weish als „Verbinder“ bezeichnet im Gegensatz zu den „Spaltern“, was in Zeiten wie diesen nicht nur auf das Uran gemünzt war.
Symposium „Für ein atomfreies Europa“
Das Symposium am Folgetag der Preisverleihung in den Salzburger Nachrichten zeichnete sich durch hohe Expertise aller Mitwirkenden aus.
Hans-Josef Fell, langjähriger Abgeordneter des Deutschen Bundestags und nunmehriger Direktor der Energy Watch Group, sprach Klartext, als er einen weltweiten 100-Prozentumstieg auf Erneuerbare Energieträger forderte. Die Propaganda der Atomlobby, dass Atomstrom zum Klimaschutz beitrage, zudem billig und für die Grundlast unverzichtbar sei, ließ er nicht gelten. Windenergie und Photovoltaik seien laut Studien bereits heute bedeutend kostengünstiger als Fossil- und Atomenergie. Mit 132,6 Mrd. Dollar Investitionen in Erneuerbare Energieträger sei China heute Spitzenreiter, weit vor den USA mit 56,9 Mrd. Dollar. Deutschland sei – so Fell – von über 40 Mrd. Dollar im Spitzenjahr 2014 auf 14,6 Mrd. Dollar im Jahr 2017 zurückgefallen. Fells Forderungen: Klimaschutz in die Verfassung, Steuerbefreiung für erneuerbare Energien, Stopp der Subventionen für Fossil- und Atomenergie, Einführung einer „Schmutzsteuer“, die alle Treibhausgase, nicht nur CO2, und auch radioaktive Abfälle umfasst.
In der folgenden von Horst Hamm geleiteten Diskussion mit Axel Berg von Eurosolar, Heinz Stockinger von der Plattform gegen Atomgefahren und Preisträger Peter Weish ging es u.a. um den Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag bzw. dessen Ersatz durch ein Regelwerk, das sich ausschließlich der Entsorgung der Nuklearabfälle und der Abwrackung von AKWs widmet. Spannend war der sich entzündende Disput über Technologie und Suffizienz, also um die Frage, ob der alleinige Umstieg auf Erneuerbare Energieträger genüge oder auch ein anderer Lebensstil nötig sei, was etwa Peter Weish vehement einforderte.
Im zweiten Vortrag warnte der Friedensforscher Sascha Hach von ICAN (im Bild ganz links) vor dem Rückfall in eine kompetitive Sicherheitslogik. Die Antwort auf den Unilateralismus der USA unter Trump solle nicht ein Europa als eigenständige Militärmacht sein, sondern das Angebot eines multilateralen und kooperativen Sicherheitsverständnisses. Europa solle die Geo- und Nuklearpolitik der letzten Jahrzehnte hinter sich lassen und einen Weg eines kooperativen Multilateralismus einschlagen. Der Weltsicherheitsrat mit den fünf Nuklearmächten sei durch einen Sicherheitsrat der Weltregionen zu ersetzen. Zudem könnten Kommunen und Regionen als Erstbetroffene von kriegerischen Auseinandersetzungen Initiativen starten, wie beispielsweise demonstrative Kooperationen mit iranischen Städten nach dem Ausstieg Trumps aus dem Atomdeal mit dem Iran gezeigt hätten. Die Tage der NATO sah Hach übrigens gezählt.
Fotos: Nuclear Free Future Award, © orla connolly; Manfred Sieberer (Klaus Biegert), Hans Holzinger, JBZ (Symposium)
Fotos und die Dankesreden sind online hier verfügbar.