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„Der Stoff da draußen ist unser Stoff. Was wir ihm antun, tun wir letztlich uns selbst an.“ | Fabian Scheidler in der Reihe JBZ-Zukunftsbuch | Bericht und JBZ TV

„Der Stoff aus dem wir sind. Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen“ – Um diesen Band des Berliner Autors Fabian Scheidler ging es in der 79.Ausgabe der Reihe JBZ-Zukunftsbuch am 7. Juni 2022 – diesmal in Kooperation mit dem Verein „prolit“. Petra Nagenkögel und Hans Holzinger sprachen mit dem Autor über seine neue Publikation. Hier ein Kurzbericht. Das Video des Gesprächs ist auf JBZ TV nachzusehen.

Fabian Scheidler studierte Philosophie und Geschichte. Als Publizist schreibt er seit vielen Jahren über Themen der globalen Gerechtigkeit sowie der nicht nachhaltigen Entwicklung. Außerdem arbeitet er als Autor und Dramaturg für das Theater. 2015 erschien sein Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“, es wurde in mehrere Sprachen übertragen und auch bei uns in der JBZ vorgestellt. Das Nachfolgebuch „Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen“ erreichte 2017 Platz 11 der Spiegel-Bestsellerliste Wirtschaft. 2019 folgten „Die volle und die leere Welt. Essays und Bilder“ sowie, als Herausgeber, „Der Kampf um globale Gerechtigkeit“.

In seinem neuen Buch geht Scheidler dem mechanistischen und dualistischen Denken auf den Grund, das uns in die heutige Malaise der Zerstörung der Ökosysteme geführt hat. Das Problem sei das Maschinendenken und die Aufspaltung in die Natur als etwas außerhalb von uns Liegendes und die Zivilisation, die sich über die Natur erhebt, so Scheidler im Gespräch. Die „große Trennung zwischen uns als Zivilisation und der Umwelt“ führe in die Irre. „Der Stoff da draußen ist unser Stoff. Was wir ihm antun, tun wir letztlich uns selbst an.“

Scheidler ist nicht gegen naturwissenschaftliche Forschung. Er schildert in den ersten Kapiteln des Buches neueste Erkenntnisse aus der Physik, der Biologie, der Chemie und Evolutionsforschung. Diese Erkenntnisse würden uns zeigen, wie komplex Ökosysteme und alles Lebendige sind. Die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaften würden etwas ganz anderes als eine tote Welt isolierter Objekte offenbaren: „ein Universum, das auf Verbundenheit, Selbstorganisation und Kreativität beruht.“ Die Rätsel unserer Existenz würden durch die Wissenschaften keineswegs gelöst, „sondern vertieft, präzisiert und in immer größerer Deutlichkeit“ sichtbar.

Die Errungenschaften der Moderne wie unsere Sozialsysteme, das freie Wahlrecht, die Demokratie seien durch soziale Bewegungen erkämpft worden und müssten immer wider aufs Neue gesichert werden, so Scheidler. Das Problem sei systemisch: „Die 500 größten Kapitalgesellschaften kontrollieren mittlerweile 40 Prozent der Weltwirtschaft und zwei Drittel des internationalen Handels.“ Das gefährde Demokratien massiv. Die Medienkonzentration und der Aufkauf von Medien durch Reiche führe zu einer gefährlichen Selektion der Inhalte. Demokratie sei zudem auf das Wählen beschränkt. Wir bräuchten jedoch Demokratie in allen Lebensbereichen – auch in den Unternehmen. Dies führte den Autor auch zur Kritik am derzeitigen Schulsystem, in dem die jungen Menschen noch immer mit Lernstoff vollgestopft würden – ohne über Lerninhalte und Methoden mitbestimmen zu können.

Unser rationales Denken, das Messen und Zählen, müsse durch Kreativität, sinnliche Wahrnehmungen, die Einbeziehung von Emotionen sowie von anderen Denk- und Kulturtraditionen ergänzt werden, so ein weiteres Argument des Autors für ein zukunftsfähiges Lernen und Handeln. „Die Krise des Lebens auf der Erde“ erfordere die Antizipation von Gefahren, etwa das Begreifen von Kipppunkten im Bereich des Klimawandels. Krisenzeiten könnten jedoch zu Zeiten des Wandels werden, betonte Scheidler. Es wären auch positive Kipppunkte möglich, die zu einem neuen Wirtschaften und Leben führen könnten. Praktische Neuansätze wie die Gemeinwohlökonomie seien dazu ebenso wichtig wie die Beschränkung der großen Konzerne, die Unterbindung von Investitionen in schädliche Produktionssysteme sowie neue Prioritäten in der Vergabe der öffentlichen Mittel. Scheidler kritisierte in diesem Zusammenhang die neuen gigantischen Aufstockungen der Rüstungsetats im Gefolge des Kriegs gegen die Ukraine. In seinem Land würde ein Mehrfaches für Militär ausgegeben als für Kultur – ein bedenkliches Bild. „Alle Systeme haben einen Anfang und ein Ende. Auch der Kapitalismus kann an seinen Widersprüchen und der Überkomplexität zu Grunde gehen“, so der Autor. Danach könne etwas Neues kommen, an dem wir bereits arbeiten sollen.

Ein inspirierender Abend über ein sehr lesenswertes Buch. Hier geht es zu unserer Rezension auf proZukunft.org, wo auch die übrigen Bücher des Autors vorgestellt werden.

Bericht: Hans Holzinger. Foto & Video: Carmen Bayer

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