Der Politikwissenschaftler und Wirtschaftspädagoge der Universität Graz Bernhard Ungericht war Gast der 75. Ausgabe unserer Reihe JBZ-Zukunftsbuch, diesmal in Kooperation mit einer Lehrveranstaltung von Daniela Molzbichler an der Fachhochschule Salzburg. Ungericht stellte seine Publikation „Immer-mehr und Nie-Genug! Eine kurze Geschichte der Ökonomie der Maßlosigkeit“ vor und zur Diskussion. An Beispielen aus dem Buch zeigte er, dass der entfesselte Wille zum „Immer-mehr“ und die von ihm hervorgebrachte Ökonomie der Maßlosigkeit über weite Strecken mit Ausbeutung und Gewalt verbunden waren – und weiterhin sind. Die Reise führte den Autor von den ersten hierarchischen Gesellschaften in Mesopotamien und den antiken Imperien der Griechen und Römer über den Aufstieg der Geldmenschen und Bankiers im Mittelalter bis hin zur industriellen Revolution und den das Wirtschaftsgeschehen zur Gänze anonymisierenden Börsen und Aktiengesellschaften der Neuzeit.

Im Vortrag machte Ungericht deutlich, wie der Expansions- und Wachstumsdrang unser quantifizierendes Denken geprägt und die Naturausbeutung vorangetrieben hat. Und er skizzierte, wie ein Pfadwechsel hin zu einer Ökonomie des rechten Maßes vielleicht doch noch gelingen könnte? Die Hoffnung dabei: „Wenn man sich verirrt hat, empfiehlt es sich, an jene Orte zurückzukehren, an denen man falsch abgebogen ist. Blicken wir in den Spiegel unserer Geschichte, suchen wir die Orte auf, an denen sich der Wille zum Immer-mehr über eine Vernunft des rechten Maßes erhoben hat und betrachten wir den Irrweg, den wir gegangen sind.“

Mesopotamien: Entstehung erster hierarchischer Gesellschaften mit Schuldverhältnissen

„Profit, Konsum, Arbeitsleistung, Wirtschaftswachstum – für all das scheint zu gelten, dass es ohne Grenze beständig mehr werden muss. Wenn es aber keine Grenze gibt – sprechen wir von Maßlosigkeit. Diese Ökonomie ist eine Ökonomie der Maßlosigkeit“, so der Autor im Vortrag. Mit dem Willen zum Mehr habe die „systematische Herrschaft des Menschen über den Menschen“ begonnen. Drei Merkmale hätten diese Ökonomie von Beginn charakterisiert: „die Macht der Elite, der Drang zur Expansion und repressive Gewalt.“ In seinem Buch gibt Ungericht einen historischen Abriss über die Steigerungslogik des Wirtschaftens sowie seine Verquickung mit Herrschaft und sozialen Hierarchien. Die Geburt der „Ökonomie der Maßlosigkeit“ datiert er in die Jahrtausende vor Christus, als sich in den sumerischen Stadtstaaten erstmals eine kleine Elite von Beamten, Priestern und Königen über die Bevölkerung stellte und dem egalitären Zusammenleben in kleineren Einheiten ein Ende setzte. Mit der zunehmenden Schichtung der Gesellschaft sei ein neues ökonomisches Machmittel entstanden – Kredit bzw. Schulden: „Anstelle der nachbarschaftlichen Beistandspflichten in Notsituationen gewährten nun die Reichen den Bauern einen Kredit, und wenn die Ernte nicht ausreichte um diesen samt Zinsen zurückzuzahlen, ging das Land in den Besitz des Reichen über – aber auch die Frau und Kinder des Bauern und er selbst.“ Privatisierung von Land sowie Schuldverhältnisse seien zu „ökonomischen Machtmitteln geworden und hätten die Menschen ihrer Freiheit und Selbstbestimmung beraubt.“ Die Gesellschaft habe sich gespaltet „in Freie und Sklaven, Männer und Frauen. Arme und Reiche, Schuldner und Gläubiger.“

Antike: Münzgeld und radikale Vorstellung von Eigentum als weitere Herrschaftsinstrumente

In der Antike werden laut Ungericht der Ökonomie der Maßlosigkeit noch zwei wesentliche Instrumente hinzugefügt: Das Münzgeld und eine radikale Vorstellung von Eigentum sowie ein entsprechendes Eigentumsrecht. Mit der Ausbreitung des Münzgeldwesens verbindet der Autor den neuen militärischen Expansionismus – Söldnerheere wurden mit Geld entlohnt: „Münzgeld hatte einen wesentlichen Vorteil für expansionsorientierte Eliten. Es konnte – anders als Getreide oder sonstige verderbliche Agrarprodukte – leichter durch die Machtzentren abgesaugt und über Söldnerlöhne in entlegenen Gebieten machterweiternd eingesetzt werden.“ Der vermehrte Handel habe die Militarisierung weiter verschärft, der Schutz der Seewege im antiken Griechenland an Bedeutung gewonnen. Die wirtschaftliche Expansion sei militärisch abgesichert worden und hätte zugleich dem Militär mehr Ressourcen gebracht. Ungericht dazu: „Diese unheilvolle Allianz von maßloser Ökonomie und Militär zieht sich als tödliche Spur durch alle Epochen. Wir begegnen ihr wieder in den Kreuzzügen des Mittelalters, in der blutigen Eroberung Amerikas durch die goldgierigen portugiesischen und spanischen Konquistadoren, im europäischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts oder in den Ressourcenkriegen zu Beginn des dritten Jahrtausends wie im Irak-Krieg und den Konflikten in Zentralafrika.“

Freiheit, mit seinem Kapital tun und lassen zu können, was man will

Die radikale Vorstellung von Eigentum sei vielleicht das folgenschwerste Erbe der Antike, so Ungericht weiter: „Bis heute lernen Jurastudenten die Grundlagen des römischen Rechts, seine zentralen Begriffe und seine Weltsicht. Es prägt bis heute die Beziehungen zwischen Menschen, unser Verständnis von Verträgen, von Eigentum, Schuldverhältnissen, Rechten aber auch unserer Vorstellung von Freiheit.“
Das römische Recht definiere Eigentum als absolute Verfügungsgewalt über eine Sache. Der Eigentümer kann die Sache gebrauchen wie er will, ohne auf andere Rücksicht nehmen zu müssen. Entstanden sei dieses im Zusammenhang mit der Sklavenhaltung: „Das unumschränkte Privateigentum – das „dominium“ – tauchte erst gegen Ende der Republik auf, als Rom zu einer Sklavenhaltergesellschaft wurde. Hunderttausende Kriegsgefangene kamen als Zwangsarbeiter nach Rom. Um 50 v. Chr. war es selbstverständlich, dass nahezu jeder römische Bürger Eigentümer eines Sklaven war. Manche hatten hunderte, einige hatten tausende Sklaven.“ Damit habe sich der Begriff von Freiheit verändert. „Freisein bedeutete ursprünglich, nicht von jemandem beherrscht zu werden, sondern über sich selbst zu verfügen.
Im 2. Jahrhundert n. Chr. definierten Juristen die Freiheit -„libertas“ – neu. Der Freiheitsbegriff wurde allmählich auf etwas ganz anderes bezogen: Freiheit wurde mit der Verfügungsmacht des Eigentümers gleichgesetzt. Freiheit war die Freiheit des Besitzenden.“ Diese Konzeption von Freiheit wirke bis heute fort und bilde ein wesentliches Element des Wirtschaftsliberalismus, der unter Freiheit vor allem die Freiheit versteht, mit seinem Kapital uneingeschränkt tun und lassen zu können, was man will. Die sogenannte „freie Marktwirtschaft“ sei somit die Freiheit der wirtschaftlich Mächtigen.

Mittelalter: Aufstieg der Geldmenschen, Bankiers und Handelsdynastien

Der Zusammenbruch des Weströmischen Reichs habe zum zwischenzeitlichen Niedergang der Ökonomie der Maßlosigkeit geführt, dann aber zum „Aufstieg der Geldmenschen, der großen Bankiers und Händlerdynastien“. Dieser begann zunächst in den italienischen Stadtstaaten, Genua, Venedig, Mailand, Florenz, Siena, Pisa, allesamt Händler- und Bankiersstaaten. Die Verquickung mit Macht und Gewalt blieb jedoch: „Die Genueser Kaufleute professionalisierten sich im Gewerbe des Sklavenhandels. Und finanzierten maßgeblich auch die Kreuzzüge. Sie kontrollierten damit das ökonomische Leben in den eroberten Gebieten. Die Kolonien von Syrien und Palästina wurden von Genuesischen Kaufleuten verwaltet.“ Die italienischen Bankiers finanzierten aber auch die englischen Könige im Hundertjährigen Krieg (1337 bis 1453) und übernahmen wichtige militärische und ökonomische Positionen in London: „Die enormen Kapitalmengen, die die mittelalterlichen Bankiers und Händler anhäuften, steckten auf der Suche nach Rendite ganz Europa in Brand.“

Neuzeit: Entgrenzung der Ökonomie der Maßlosigkeit durch die industrielle Revolution

Während die griechische Antike und das Römische Reich – so Ungericht – zum „Aufstieg der Ökonomie der Maßlosigkeit“ geführt und diese im Mittelalter zunächst einen Niedergang erlabt habe, sprenge die Ökonomie der Neuzeit alle Grenzen: „Die Neuzeit ist die dynamischste Epoche in der Geschichte der maßlosen Ökonomie. Die Gesellschaft veränderte sich schneller als je zuvor. Die Menschheit wuchs von einer halben Milliarde im Jahr 1500 auf zweieinhalb Milliarden im Jahr 1950 und liegt heute bei acht Milliarden Menschen. Zwischen der Postkutsche als wichtigstem Transportmittel in Europa und der Mondlandung vergingen weniger als hundert Jahre.“ Im Verlauf der Neuzeit sei es nicht nur zu einer kontinentalen Expansion der Ökonomie der Maßlosigkeit gekommen, sondern auch zu einem beispiellosen Anwachsen von Gewalt und zu neuen Formen von Elitenmacht, und – bedingt durch die wissenschaftliche und industrielle Revolution zu einer Intensivierung der Ausbeutung von Mensch und Natur, so Ungericht.

Börsen und Kapitalgesellschaften als Institutionen der Maßlosigkeit

Als besondere Institutionen der Maßlosigkeit stellte der Ökonom die Börse und die Kapitalgesellschaft vor. Gegenüber den menschlichen Akteuren seien diese frei von zwei Beschränkungen: „Ersten haben sie kein biologisches Ablaufdatum, sie sind theoretisch unsterblich. Der maßlose Wille zum Immer-mehr befreit sich damit von der begrenzten Lebenserwartung der menschlichen Akteure. Das war ein enormer Entwicklungsschub für die Ökonomie der Maßlosigkeit.“ Zweitens seien Börse und Kapitalgesellschaft frei von moralischem Skrupel und würden, wie von Zauberhand, diejenigen, die ihr Geld vermehren wollen davon befreien: „Denn sie vergrößern die gefühlte Distanz zwischen Profiteuren und Ausgebeuteten. Sie verschleiern die Konsequenzen ökonomischer Handlungen, die andere zu erleiden haben. Der maßlose Mensch ist nun ´Investor´ und kann sich einreden, dass es sein Kapital ist, das für ihn ´arbeitet´ und nicht andere Menschen.“ Es sei kein Zufall, dass der Sklavenhandel wieder mit der Gründung von Börsen und Kapitalgesellschaften aufblühte, so Ungericht: „Er versprach hohe Profite, ohne dass man sich selbst die Hände schmutzig machen musste. Selbst Kirchen und Pfarrgemeinden investierten ihr Geld in den Sklavenhandel.“

Auch Kriege sind an Börsen gehandelt worden: „Als sich 1821 die Griechen gegen das Osmanische Reich erhoben, wurde an der Londoner Börse eine Revolutionsanleihe gehandelt, deren Kurs mit dem Kriegsglück auf dem Schlachtfeld schwankte.“ Spekulanten waren auch im Opiumkrieg Großbritanniens gegen China groß im Geschäft. Kühle Kalkulation habe nun auch bestimmt, wer verhungert: „In Indien starben bei der großen Hungersnot 1877/78 zwölf bis dreißig Millionen Menschen, aber gleichzeitig wurden 320.000 Tonnen Weizen nach Europa exportiert. Das Getreide konnte mit der neuen Eisenbahninfrastruktur leicht in die Häfen gebracht und von dort an den Meistbietenden verkauft werden. Die steigenden Preise euphorisierten die Spekulanten in London.“ Ungericht brachte dazu auch ein aktuelles Beispiel: „Im Jahr 2007/ 2008 und ein weiteres Mal 2011 kommt es zu einer Hungerkrise, die von Nahrungsmittelspekulanten verursacht wurde. Die Preise für Öl, Reis, Mais, Weizen stiegen um bis zu 300 Prozent – ein gutes Geschäft für die Spekulanten, aber laut UNO litten damit zusätzliche 75 Millionen Menschen Hunger.“

Von der Verwandlung der Welt zur Verwandlung der Menschen

Mit globaler Expansion und Kolonialismus, Kapitalgesellschaften und Börsen, Wissenschaft und industrieller Verwertbarkeit sowie Entwicklungsideologie und neoliberaler Kulturrevolution sei die Welt nun an den Rand des Ökokollaps geführt worden. „Maßloser Konsum und imperialer Lebensstil“ würden die Krisen der Jetzt-Zeit bestimmen. Ungericht skizziert im Buch neben dem Aufstieg des Bank- und Börsenwesens und seiner Verquickung mit der Kriegs- und Sklavenwirtschaft auch den Siegeszug der industriellen Revolution sowie den Aufstieg der transnationalen Konzerne und des sich ausbreitenden globalen Handels. Transnationale Konzerne würden heute 90 Prozent der weltweiten Patente kontrollieren, die tausend größten Unternehmen rund 80 Prozent der Industrieproduktion stellen. „Kapitalgesellschaften sind damit längst nicht mehr nur wirtschaftliche Institutionen. Sie sind heute das Definitionszentrum der globalen Ökonomie der Maßlosigkeit.“

„Die Verwandlung der Welt“ sei einhergegangen mit einer „Verwandlung des Menschen“. Die Welt des mittelalterlichen Menschen sei eine Welt der Qualitäten und nicht der Quantitäten. Selbst die Gelehrten der ersten Universitäten hätten über Gewicht, Temperatur oder Geschwindigkeit nachgedacht, ohne sie zu messen. Doch das quantifizierende Denken habe immer mehr um sich gegriffen: „Es beginnt ein Prozess, der alles Konkrete in eine Zahl verwandelt.“ Die Geldmenschen des Mittelalters seien daher Wegbereiter einer kulturellen Revolution gewesen, ist Ungericht überzeugt. Es zählte nur mehr, was in Zahlen auszudrücken war: „Das Geld wurde zur Obsession. Die italienischen Großkaufleute gründen Schulen, in denen nur eine einzige Fähigkeit gelehrt wird: Rechnen. Zinsrechnung, Prozentrechnung, Schlussrechnung.“

Quantifizierendes Denken und Steigerung der Maßlosigkeit

Die Beziehung des Menschen zu sich und zur Natur habe sich, so Ungericht, mit dem quantifizierenden Denken radikal geändert und die Steigerungslogik ins Unermessliche vorangetrieben: „Denn jede Zahl könnte noch höher sein. Keine Produktionsmenge so hoch sein, dass nicht eine noch höhere vorstellbar wäre. Keine Arbeitsleistung kann so produktiv sein und kein Unternehmensgewinn so hoch, dass nicht ein noch höherer vorstellbar wäre. Der Fleischertrag pro Schwein, der Umsatz pro Mitarbeiter, der Quadratmeterertrag landwirtschaftlich genutzten Bodens – es geht um ein messbares Mehr.“ Diese eindimensionale Logik der quantifizierenden Rationalität führe notwendigerweise zum Verlust ästhetischer und ethischer Maßstäbe: „Damit verflüchtigt sich aber auch jedes Kriterium, das ein Genug benennen könnte und das es erlaubt, sich zufrieden zu geben.“

Ungericht geht im zweiten Teil seines Buches der Rechtfertigung des Willens zum Immer-mehr auch durch die neue Wirtschaftslehre („eine Wissenschaft für die Elite“), aber davor schon durch die Kirche („Gott und das Geschäft“) nach und er skizziert den Aufstieg des quantifizierenden Denkens, das die Beziehungen und das Zusammenleben der Menschen verändert habe. Drei neue Erzählungen würden dieses Denken bestimmen: „Das Bild einer unerschöpflichen und grenzenlos ausbeutbaren Natur, die Idee vom Fortschritt und das Bild vom Menschen als ein natürlicherweise egoistisches, habgieriges Individuum.“ Das führt den Autor zum dritten Abschnitt seines Buches „Scheidewege – Wie wird es weitergehen?“

Alternativen zum Immer mehr sind gefragt

Noch seien wir trotz aller Nachhaltigkeitsversprechen nicht an einer Wende zum Genug angelangt, so Ungericht im abschließenden Teil des Vortrags. Die Ökonomie der Maßlosigkeit könne gar nicht anders – sie müsse auch maßlose Zukunftsprojekte hervorbringen: „Der Expansionismus dehnt sich aus auf das größte und das kleinste: das Weltall und die Gene.“ Der Ökonom nannte zwei Beispiele: „2015 unterzeichnete Obama ein Gesetz, das US-Unternehmen und Bürgern Besitzrechte an im All abgebauten Ressourcen zuspricht. 2016 erließ Luxemburg ein Gesetz über den Abbau von Rohstoffen auf Asteroiden und anderen Himmelskörpern.“ Gearbeitet werde auch an technologischen Projekten, die direkt auf den Menschen und das Menschsein zielen: Computer-Hirnschnittstellen, neue Formen der Macht, wie die algorithmische Dressur auf Basis künstlicher Intelligenz oder die biotechnologische Produktion von Lebewesen.

Den dystopischen Ausblicken wie der weiteren Zunahme der Elitenmacht durch immer perfektere Kontroll- und Überwachsungstechnologien („Repression 4.0“, „Data-Mining“) setzt Ungericht die Hoffnung auf einen „Pfadwechsel“ entgegen. Dieser ist mit ein paar Seiten im Buch kurzgehalten. Der Pfadwechsel müsste auf eine „Kultur eines verantwortbaren Lebensglücks zielen“, es wäre „eine Kultur der Genügsamkeit und des Maßhaltens, eine Kultur der Solidarität mit denen, die schlechter gestellt sind, und eine Kultur des Mitgefühls für alles Leben auf diesem Planeten.“ Aber dies sei mit „Selbstdeprivilegierung“ verbunden, was den Wandel nicht leichter mache. Notwendig seien eine politische und eine kulturelle Wende: „Die politische Dimension betrifft die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Elitenmacht ist der zentrale Faktor. Das geht nur mit einem massiven Politikwandel.“ Die kulturelle Dimension eines Pfadwechsels sei jedoch die fundamentalste: „Sie umfasst nicht nur unseren gewohnten Lebensstil, sondern auch unsere Identität und unsere Vorstellungen vom guten Leben.“

Resümee

Das informative, bestens recherchierte Buch des Politikwissenschaftlers und Ökonomen lädt dazu ein, unsere Bilder von Wohlstand und Fortschritt grundlegend zu revidieren. Mehr noch als dies Yuval Harari in seiner „Kurzen Geschichte der Menschheit“ tut, arbeitet Ungericht die Gewalttätigkeit der modernen Ökonomie heraus. Während Harari auch die pazifizierende Seite des internationalen Handels und insbesondere die Produktivität des Kapitalismus – durchaus in seiner Ambivalenz – betont, fokussiert Ungericht vorwiegend auf die negativen Seiten. Wie Harari kritisiert auch Ungericht den Konsumismus als Irrweg – ersterer meint sogar, dass die Jäger und Sammlerinnen das zufriedenste Leben gehabt hätten, danach seien Unterjochung und das Diktat des Ökonomischen gefolgt. Ungericht plädiert wie Harari für einen kulturellen Wandel. Auf die Frage, was er an unserer Moderne schätze, antwortete Ungericht: „Alles, was Menschen sich erkämpfen mussten: Die Abschaffung der Sklaverei, gesetzlich festgelegte Rechte von Arbeitenden, das Frauenwahlrecht, die Demokratie.“

Nicht erwarten darf man als Leser:in Wege, wie wir die neuen Pfade betreten und aus dem Wachstumswahn aussteigen können. Aber vielleicht sind Perspektiven einer egalitären, gemeinschaftlich oder genossenschaftlich organisierten Ökonomie Thema des nächsten Buches des Experten, der seit langem auch zur Genossenschaftsbewegung forscht? Dass es in der Geschichte auch ganz andere Formen des Zusammen-Wirtschaftens gegeben hat, zeigt etwa Annette Kehnel in „Wir können auch anders“ sowie eine weitere Universalgeschichte der Ökonomie „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit“ von David Graeber und David Wengrow. Auch diese Bücher sind in unere Bibliothek zu finden. Sie zeigen: Es existiert keine einheitliche Entwicklungslogik, kein gerader Weg, der von allen Zivilisationen beschritten wurde bzw. werden muss. Damit ist auch der gegenwärtige Zustand unserer von Ungleichheit geprägten Gesellschaften alles andere als alternativlos.

Bericht: Hans Holzinger

Bernhard Ungericht:  Immer-mehr und Nie-genug! Eine kurze Geschichte der Ökonomie der Maßlosigkeit. Marburg: Metropils, 2021. 309 Seiten