Heinz Gärtner, Politikwissenschaftler und Vorsitzender des Beirats des International Institute for Peace, sah vor dem Ausbruch des Krieges den neutralen Status der Ukraine als eine Möglichkeit, Druck aus der eskalierenden Entwicklung zu nehmen, sowie eine Verbindungsrolle zwischen Russland und dem Westen einzunehmen. Im Vortrag am 16. Mai 2022 in der Robert-Jungk-Bibliothek befürchtete der Experte jedoch einen neuen Eisernen Vorhang, der einem Erschöpfungskrieg mit weiterem Blutvergießen auf beiden Seiten folgen werde. Im Video auf JBZ TV kann der Vortrag sowie das anschließende Gespräch mit dem Experten angesehen und nachgehört werden. Der folgende Kurzbericht fasst zentrale Aussagen des Vortrags zusammen.

Der anvisierte Nato-Beitritt von Schweden und Finnland habe auch die Neutralität der Ukraine obsolet gemacht. Denkbar sei eine neue Grenzlinie, die durch militärische Tatsachen geschaffen werde. Geopolitisch gehen wir einer neuen polarisierten Welt mit den USA und China als Hauptkonkurrenten entgegen, so Gärtner. Russland könne noch stärker in die Abhängigkeit Chinas kommen, die USA würden neue Bündnisse in Asien schmieden.

Gärtner warnte vor einer weiteren Isolation Russlands, das zu einem „großen Nordkorea“ mit zerstörter Wirtschaft, aber vielen Atomwaffen werden könnte. Auch eine nukleare Eskalation sei nicht auszuschließen. Doch Europa könne kein Interesse daran haben, dass der Kontinent weiter destabilisiert werde, so Gärtner, der die EU als Wirtschafts- und Sozialunion begrüßte, eine Europäische Armee aber ablehnte. Militärbündnisse könnten zwar Schutz bieten, seien aber durch die Beistandsklausel – bei der Nato Artikel 5 – auch problematisch.

Neutrale Staaten wie Österreich oder die Schweiz hätten in einer polarisierten Welt durchaus die Möglichkeit, als Vermittler aufzutreten. Gärtner hofft darauf, dass dem neuen Kalten Krieg nach einer Phase der Abkühlung erneut Rüstungskontroll- und Kooperationsabkommen folgen könnten – analog der Entspannungspolitik in den 1980er-Jahren im „Helsinki-Prozess“. Es wäre durchaus möglich und wünschenswert, dass Wien und Salzburg hier eine wichtige Rolle spielen.

Einführung: Magdalena Mühlböck (JBZ), Gespräch mit Prof. Gärtner: Hans Peter Graß (Friedensbüro) und Hans Holzinger (JBZ). Video und Fotos: Carmen Bayer (JBZ)