Fluglinien werden gestrichen, Restaurants und Bars geschlossen, der Tourismus sackt ein, die Börsenkurse purzeln, das öffentliche Leben wird auf das Nötigste eingeschränkt. Das Corona-Virus führt uns vor Augen, was es bedeutet, wenn die Konsumgesellschaft in den Krisenmodus fällt. Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, zieht Parallelen zwischen Corona- und Klimakrise, und benennt doch Unterschiede.

Plötzlich geht es darum, die Grundbedürfnisse sicher zu stellen, genügend Lebensmittelvorrat zu Hause zu haben, die Behandlung der Erkrankten zu gewährleisten, öffentliche Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen aufrechtzuerhalten. Weiterhin geöffnete Lebensmittelmärkte, ausreichende und gut arbeitende Gesundheitsdienste, intakte Betreuungseinrichtungen sowie Mobilitätsangebote, funktionierende Medien und entscheidungsfähige politische Strukturen treten in den Mittelpunkt.  Schlagzeilen wie „Formel-1-Saisonauftakt derzeit völlig ungewiss“ oder „Abpfiff auch für die deutsche Bundesliga“ erscheinen plötzlich absurd. Sie halten uns den Spiegel vor, in dem sie uns zeigen, was uns alles wichtig war (ist) in der erlebnishungrigen Multioptionsgesellschaft. Wir fragen uns, welche Tätigkeiten und Berufe nun wirklich wichtig sind. Wer braucht noch Werbegrafiker oder Yogalehrerinnen, wenn es darum geht wieder die Grundbedürfnisse zu organisieren und zu befriedigen. Oder Popstars, Modezaren und andere Entertainer?  Shopping-Center und Kreuzfahrtschiffe? Eine wohltuende Katharsis, eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, könnte man denken.

Diese Argumentation wäre freilich zynisch: immerhin geht es um Menschenleben. Doch sie ist auch zu einfach. Wenn Schulen und Kindergärten schließen, fragen sich Eltern, insbesondere Alleinerziehende, wie sie die Betreuung ihrer Kleinen hinkriegen sollen. Wenn Unternehmen von einem Tag auf den anderen mit dem Einbruch ihrer Umsätze konfrontiert werden, müssen sie bangen, wie sie ihre Ausgaben finanzieren können. Und die Belegschaften, ob sie ihre Löhne weiter erhalten. Der Krisenmodus greift vom Virus, der sich gegen uns Menschen richtet, auf das komplexe Wirtschaftssystem über. Im Unterschied zur einfachen Versorgungswirtschaft, die auf Grundbedürfnisse abstellt, werden in der heutigen Konsumgesellschaft zu einem großen Teil Bedürfnisse befriedigt, die über den Grundbedarf hinausgehen. Und ein großer Teil der Erwerbstätigen lebt von der Befriedigung eben dieser Bedürfnisse – Shoppen, Essen gehen, Reisen, sich unterhalten, sich fortbilden, sich beraten lassen. Die Grundversorgung mit Wasser, Strom und Energie nehmen wir ohnedies als selbstverständlich an. Auch die Gütermärkte funktionieren längst nicht mehr nach dem Prinzip des Bedarfs, sondern nach jenem der Bedürfnisgenerierung – nach neuen Klamotten, weil die alten aus der Mode sind, neuen Handys oder Tablets, weil diese noch mehr können, einem neuen Auto, weil es gerade auf den Markt gekommen ist. Wenn das alles auf einmal nicht mehr zählt, weil die Menschen andere Sorgen haben?

Wird eine Gesellschaft auf ihre Grundbedürfnisse zurückgeworfen und ist sie gefordert, öffentliche Räume so weit wie möglich zu meiden, gerät die Wirtschaft in die Krise. Der Tourismus, der weltweit mittlerweile gut zehn Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, bricht ein, mit ihm die Flugbranche, die Einreiseverbote ebenso spürt wie die Hotellerie, Restaurants und Gasthäuser. Theater, Kinos und Sportveranstalter rutschen rasch ins Minus, während Apotheken die Nachfrage nach Schutzutensilien nicht mehr befriedigen können. Aber auch die Produktion von Gütern stockt, wenn Menschen nicht mehr an ihre Arbeitsplätze können oder aus Vorsicht nicht mehr wollen – wie etwa die Arbeiter*innen von Fiat in Norditalien, die ein „Viruseinkommen“ fordern. Sehr verständlich in dieser ernsten Lage. Eine neue Version des Grundeinkommens – ein Kriseneinkommen! Doch für alle wird dies nicht möglich sein. Und jene, die zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung nötig sind – ihnen gilt in der aktuellen Lage großer Dank, dürfen gar nicht der Arbeit fernbleiben.

Die Krise erfasst die ganze Wirtschaft

Der Staat muss nicht nur die Versorgung der Kranken und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens gewährleisten, sondern auch die Krisenbranchen stützen. Fluggesellschaften waren die ersten, die um Unterstützung wegen Kurzarbeit ihrer Belegschaften angefragt haben. Tourismus, Gastronomie und Kulturbetriebe werden folgen. Wenn die Nachfrage einbricht oder Belegschaften nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen können – die Potenziale für Home-Office sind begrenzt – dann folgen viele weitere Branchen. Die ersten Kündigungen sind bereits ausgesprochen, die Arbeitslosenzahlen werden steigen. Das Purzeln der Börsenkurse trifft zunächst einmal die Aktionäre, also in der Regel die Vermögenderen, aber auch Pensions- und Versicherungsfonds sind betroffen. Und die Krise von Konzernen schlägt auf die Wirtschaft insgesamt zurück. Das weitere Drehen an der Staatsschuldenschraube ist vorprogrammiert. Neben der Abhängigkeit von einander in hochgradig arbeitsteiligen Wirtschaften – der Ökonom Niko Paech spricht vom „Fremdversorgungssyndrom“ – geht es um die aus Wirtschaftskrisen bekannte Abwärtsspirale: sinkende Einkommen führen zu sinkender Kaufkraft, diese zu weniger Konsum, was zur Drosselung der Produktion und zum Sinken weiterer Einkommen führt. Der Koch und die Kellnerin, die ihre Arbeit verlieren, kaufen weniger, ebenso der Musiker, der keine Auftritte hat, oder die Yogalehrerin, deren Kunden fern bleiben. Und selbstredend lässt eine derartige Krise soziale Ungleichheiten noch stärker hervortreten: wer Rücklagen hat tut sich leichter, und wer ein Landhaus hat, zieht sich auf dieses zurück.

Fragilität unserer global vernetzten Welt

Epidemien wie das Corona-Virus machen uns die Fragilität unserer global vernetzten Welt bewusst. Und auch, dass wir alle voneinander abhängig sind. Aufgrund der aufgespreizten Versorgungsketten, aber auch, weil wir nun darauf angewiesen sind, dass sich alle an die Vorbeugemaßnahmen halten, die nötig sind, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Und plötzlich wird uns bewusst, dass der Großteil unserer Medikamente mittlerweile aus China und Indien stammt.

Nach der Bankenkrise kursierte der Spruch „Wäre der Planet eine Bank, dann würde er schon gerettet worden sein“. Auch nun werden wieder Parallelen zur Klima- und Ökologiekrise gezogen. Ist das zu weit hergeholt oder hinkt der Vergleich? Ich denke, es gibt Unterschiede und Parallelen zugleich. Bei Corona sind wir mit einem Virus konfrontiert, das sich – derzeit noch – mit exponentieller Geschwindigkeit ausbreitet, gegen das es aber noch kein wirksames Medikament gibt. Das heißt die Bedrohung nimmt rasch zu und kann insbesondere für Risikogruppen, ältere Menschen, Personen mit geschwächtem Immunsystem sehr schnell tödlich sein. Die steigenden Todeszahlen bestätigen es.

Klimawandel als schleichende Krise, die sich schnell zuspitzen kann

Die Zerstörung der Ökosysteme gilt als schleichende Krise, auch wenn sie in vielen Regionen bereits akute Realität ist: Dürre, Wasserarmut, degradierte Böden, unfruchtbare Landschaften. Und auch unsere Bauern und Forstwirte spüren die sich häufenden Ernteausfälle bereits handfest. Mögliche Kipppunkte wie das beschleunigte Schmelzen von Polareis, das Auftauen der Permafrostböden oder die Störung von Meeresströmungen sind Teil der Szenarien der Klimaforschung und würden die Aufheizung des Planeten rasch beschleunigen. Und die Zeit ist in der Tat knapp: Um die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, dürfen wir noch ungefähr 420 Gigatonnen Kohlendioxid ausstoßen. Dieses Kontingent ist in acht Jahren ausgeschöpft, wenn wir nicht rasch umsteuern. Das heißt, die Zeit drängt auch hier. Eine Abkehr vom Gewohnten, ja in Vielem auch eine Auszeit oder ein Unterlassen – mit staatlichen Ge- und Verboten wie im Falle der Corona-Epidemie wäre durchaus gefordert. Und auch ein gemeinsames Problem- und Verantwortungsbewusstsein.

Es ist zu wünschen, dass durch koordinierte Maßnahmen und gemeinsame Verantwortung die Ausbreitung des Corona-Virus wirksam gebremst und bald ein Impfstoff dagegen gefunden wird. Zu wünschen ist aber auch, dass diese gemeinsame Verantwortung auch gegenüber anderen Krisen wahrgenommen und ein „Impfstoff“ gefunden wird, der einen Ausstieg aus den wachstumsfixierten umweltzerstörerischen und zudem andere Menschen ausbeutenden Konsumwirtschaften heutiger Ausprägung bewirkt. Die Corona-Krise kann uns lehren, dass „immer billiger, immer mehr und immer schneller“ in die Irre führt, der Wachstumsimperativ gefährlich werden kann, vordergründige Effizienz durch Resilienz und Vielfalt zu ergänzen ist. Nutzen wir die verordnete Auszeit und das Herunterfahren all unserer Aktivitäten zum Innehalten und zum Fragen, was wirklich zählt im Leben und wie es möglich wäre, eine Wirtschaft zu gestalten, die sich vom Wachstumszwang befreit und in der Tat wieder mehr den Grundbedürfnissen zuwendet. Denn sonst bleiben alle Beteuerungen für Nachhaltigkeit Makulatur. Eines zeigt die Corona-Virus-Krise: die öffentliche Hand kann durchaus Ressourcen mobilisieren, mit Maßnahmen, die rasch greifen. Diese sind auch für die Umweltkrisen zu wünschen.

Hans Holzinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsragen in Salzburg. Zuletzt erschienen sind seine Bücher „Von nichts zu viel, für alle genug“ und „Wie wirtschaften?“.

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