Franz-Josef Radermacher ist Mit-Initiator eines Globalen Marshall-Plans. Vor kurzem hat er für die deutsche Bundesregierung die „Allinanz für Entwicklung und Klima“ konzipiert. In der Reihe Zukunftsbuch der Robert-sprachen wir mit Radermacher über seine neue Publikation „Der Milliardenjoker. Wie Europa und Deutschland den globalen Klimaschutz revolutionieren können.“ JBZ-Zukunftsbuch fand aufgrund der besonderen Umstände erstmals Online statt – die Premiere ist geglückt. Wir hörten einen spannenden Vortrag, dem eine anregende Diskussion folgte. Beides kann auf JBZ TV angesehen werden.
Energieverbrauch steigt, schwierige Dekarbonisierung, Zukunftskraftstoff Methanol
Der globale Energieverbrauch werde weiter steigen, allein weil ärmere Länder sich wirtschaftlich stark entwickeln werden. Dies mache die Ziele der Dekarbonisierung obsolet und stelle wirksamen Klimaschutz vor hohe Herausforderungen, so Radermacher im Vortrag. Das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Abkommens sei sinnvoll, der Vertrag jedoch unverbindlich und „schwach“. Zudem würden die Zusagen der Staaten keineswegs reichen. Die Emissionen bei Erfüllung aller Paris-Versprechen müssten bis 2050 mindestens noch einmal halbiert werden, laut Prognosen werden diese aber weiter steigen. Radermacher, der als Vorstand des Forschungsinstitut für angewandte Wissensverarbeitung in Ulm, einschlägige Projekte begleitet, fordert zwei Strategien. Der Umstieg auf Erneuerbare Energieträger dürfe sich nicht auf Elektrizität beschränken, sondern viel stärker auf synthetische Kraftstoffe setzen. Methanol könne zu einem CO2-neutralen Kraftstoff werden und wirtschaftlich erzeugt werden, wenn für die Herstellung günstiger Solarstrom etwa aus der Sahara verwendet wird. Das würde auch Entwicklung fördern. Elektroantriebe seien keineswegs klimaneutral, wenn die Produktion der Batterien berücksichtigt wird und der Strom ohnehin nicht grün ist. Zudem gäbe es in Europa nicht genügend Flächen, um den Strom klimaneutral herzustellen.
„Nature based solution“ – Wiederaufforstung, Bodenkultivierung, Reanturierung, andere Agrarförderung
Zweitens müsse viel mehr CO2 gebunden werden: durch großflächige Wiederaufforstungen, Bodenkultivierung sowie Renaturierung von Feuchtgebieten, Mooren und Mangrovenwälder – allesamt CO2-Speicher. Radermacher spricht von „natur based solutions“. Es gäbe allein in den tropischen Gebieten Afrikas eine Milliarde Hektar degradierter Böden. Deren Aufforstung mit Nutzwäldern würde wirtschaftliche Wertschöpfung sowie einen wirksamen Beitrag zum Klimaschutz bringen, so der Experte. Holz müsse zu einem wertvollen Baustoff der Zukunft werden. Klimaschutz würde verbunden mit sinnvoller Entwicklungszusammenarbeit. Das Geld hierfür soll durch freiwillige CO2-Kompensationszahlungen der „high emitters“ – reicher Menschen, Unternehmen oder Städte – erfolgen. In der vom deutschen Ministerium für Entwicklung geschaffenen „Allianz für Klima und Entwicklung“, die Radermacher mit konzipiert hat, werden solche Kompensationsprojekte argumentativ unterstützt.
Zudem müsse in den Agrarförderungen die klimaschonende Bearbeitung der Böden durch Humusaufbau (etwa über Biokohle, bekannt als Terra Preta) als Kriterium eingehen. Kleine Schritte wie ein anderer Lebensstil sind Zeichen des Umdenkens., retten die Welt aber nicht. Radermacher betonte, dass Einzelschritte wie ein ökologischer Lebensstil sowie Maßnahmen einzelner Staaten die Welt nicht retten werden, sondern größer gedacht werden müsse. Notwendig seien großmaßstäbige Kohlenstoffkreisläufe; und diese seien durch Geldkreisläufe anzustoßen, das heißt durch zielgerichtete Investitionen.
Kooperation von Europa und Afrika für neue Lösungen
Europa könne in Kooperation mit Afrika viel zum Klimaschutz beitragen, weil es dort große Aufforstungsflächen gäbe – und zudem unbewohnte Wüstengebiete mit hoher Sonneneinstrahlung für großflächige Solarstromerzeugung zur Verfügung stehen. Ökonomisch würde das in Afrika viel positives bewirken. Deutschland hat in Kooperation mit Marokko ein erstes Großsolarkraftwerk errichtet. Zeitgleich müsste der CO2-Ausstoß international koordiniert bepreist werden, das heißt, wir bräuchten Emissionszertifikate mit einem angemessenen Preis – dieser sei derzeit viel zu billig.
Resümee: Franz-Josef Radermacher macht deutlich, dass nationalstaatliche Anstrengungen für den Klimaschutz nie reichen werden. Investitionen in den ökologischen Strukturwandel im eigenen Land seien immer zu ergänzen durch internationale Projekte wie im Vortrag und Buch beschrieben. So lasse sich Klimaschutz und Entwicklung im Sinne der Sustainable Development Goals miteinander verbinden. In Summe ein wichtiger, meist unterbelichteter Beitrag zur Klimadebatte.
In der Reihe JBZ-Zukunftsbuch stellen Autoren und Autorinnen zentrale Aussagen und Thesen ihrer Bücher in der Salzburger Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen zur Diskussion. Die mittlerweile 58. Ausgabe fand am 11. Mai 2020 statt – Coronabedingt erstmals als Onlineformat. Das Video umfasst den Vortrag des Referenten sowie die anschließende Diskussion mit den Chat-TeilnehmerInnen. Die Veranstaltung wurde gefördert von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung.
Moderation und Bericht: Hans Holzinger (JBZ).