JBZ-Nachhaltigkeitsexperte Hans Holzinger bringt in diesem Kommentar drei Argumente, warum das Klimavolksbegehren gerade jetzt wichtig ist und warum er dieses unterschrieben hat.
Die österreichische Bundesregierung hat in ihrer letzten Klausur je eine Klimamilliarde für 2020 und 2021 beschlossen. Investitionen, die in den Klimaschutz gehen sollen, etwa den Ausbau von Bahninfrastruktur. Und wir haben eine engagierte und ambitionierte Umweltministerin. Warum brauchen wir dann noch ein Klimavolksbegehren? Dies könnten sich manche nun fragen. Dem ist nicht so. Erstens sind wir noch lange nicht am Ziel. In einem Offenen Brief an die österreichische Bundesregierung, zitiert in einem ORF-Bericht, bringen die Expert*innen des Climate Change Center Austria CCCA die ernsthafte Lage zum Ausdruck: „Als Klimaforscher und Klimaforscherinnen wissen wir, dass die große Krise noch vor uns liegt.“ Wenn dem Klimawandel nicht jetzt gegengesteuert werde, werde sich dieser „weit katastrophaler entwickeln als alle Szenarien, die im Zusammenhang mit Covid-19 vorgestellt wurden“. Neue Forschungserkenntnisse tragen alles andere als zur Beruhigung bei: Ende Mai veröffentlichte die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde der Vereinigten Staaten NOAA, die die Messstation Mauno Loa auf Hawaii betreibt, einen neuen Rekordwert: 417,2 ppm (parts per million CO2). Damit liegt der bisherige diesjährige Höchstwert schon 2,4 ppm über dem letztjährigen Wert. Was sich nach wenig anhört, ist in Wirklichkeit ein erschreckend hoher Anstieg. Damit wird die irdische Atmosphäre schon im kommenden Jahr die 420 ppm CO2 überschreiten, die von manchen Klimaforscher*innen in der Vergangenheit als so gefährlich bezeichnet wurde, da dann der Klimakollaps nicht mehr aufzuhalten sei. Der deutsche Energie- und Klimaexperte sowie ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell: „Die heutigen Apelle und Beschreibungen von Spitzenklimaforscher*innen sind auf Grund des Versagens der Weltgemeinschaft noch wesentlich dramatischer, ja fast schon resignierend.“
Zweitens sind Volksbegehren die einzige direktdemokratische Möglichkeit in Österreich, von unten Anliegen ins Parlament zu bringen (Volksabstimmungen können nur vom Parlament selbst ausgelöst werden.) Wem Klimaschutz ein Anliegen ist und wer möchte, dass die österreichische Bundesregierung noch mehr dafür tut, der und die soll dies als Bürger*in über dieses Mitbestimmungsrecht auch zum Ausdruck bringen. Denn drittens beträgt das Konjunkturpaket zur Ankurbelung der Wirtschaft das x-fache der Klimamilliarde. Der Großteil der bei der Regierungsklausur diskutierten Unterstützungsmaßnahmen, nämlich 12,8 Mrd. Euro, kommt Unternehmen zugute. Hier ist noch keineswegs ausgemacht, ob Klimaschutz eine Rolle spielen wird. Die Gefahr der einfachen Rückkehr zum Status quo ante ist groß, Förderungen würden dann vergeben nach den geltend gemachten Einbußen durch den Shutdown. Zudem zeigen erste Beispiele, dass Konzerne ungeniert Zuschüsse etwa für Kurzarbeit in Anspruch nehmen und zugleich Dividenden in Millionenhöhe auszahlen. Das geht einfach aus sozialhygienischen Gründen nicht. Es ist Aufgabe einer kritischen Zivilgesellschaft, hier genau hinzusehen. Die Forderungen bleiben aktuell: Klimaschutz in der Verfassung verankern, ein konkretes CO2-Einsparziel um 50 % bis 2030, Abbau aller Subventionen für Fossilenegrie und Umsetzung einer sozial-ökologischen Steuerreform, Mobilitäts- und Energiewende sowie ein Klimacheck aller neuen Gesetze.
Die deutsche Energieökonomin Claudia Kemfert fordert in ihrem neuen Buch „Mondays for Future“ ebenfalls einen Nachhaltigkeits- und Klimacheck für alle Gesetzesvorhaben. In Baden-Württemberg wird dies mittlerweile so gehandhabt. Kemferts pointierte Feststellung: „Wer will, findet Wege; wer nicht will, findet Gründe.“ Auch die DIW-Ökonomin warnt eindringlich: „Bis 2030 sind es noch zehn Jahre. Wenn es uns bis dahin nicht gelingt, das Ruder herumzureißen, ist die Frage, wie lange wir überhaupt noch rudern können angesichts dann herrschender Bedingungen.“
Ob die wirtschaftliche Krise aufgrund der Covid19-Maßnahmen für einen sozialökologischen Umbau genutzt werden oder die Chance vertan wird, sich alte Lobbys einfach durchsetzen, wird entscheidend dafür sein, ob die Klimawende tatsächlich gelingen kann. Österreich ist hier nicht alleine: In einer von 180 EU-Abgeordneten, Managern, Gewerkschaftern, NGOs und Experten sowie Expertinnen unterzeichneten Erklärung der neu geschaffenen Green Recovery Allicance ist zu lesen: „Nach der Krise wird die Zeit zum Wiederaufbau kommen. Der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft, der Schutz der Artenvielfalt und die Umgestaltung der Agrar- und Lebensmittelindustrie bieten die Möglichkeit zum schnellen Aufbau von Jobs und Wachstum.“ (zit. nach ORF 15.6.2020)
Wenn wir eine Lehre aus der Corona-Krise ziehen können, dann ist es die Erkenntnis, dass der ressourcenverschwenderische Konsumstil nicht aufrechterhalten werden kann. Konsumieren auf „Teufel komm raus“, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, kann daher nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Ein grundsätzliches Überdenken unseres Verständnisses von Wohlstand ist überfällig: „Wir haben eine Welt geschaffen, in der Verbrauch zum Selbstzweck geworden ist. Der Mensch hat die Maschinen erfunden, um sich das Leben zu erleichtern. Heute schreibt er dutzende Bewerbungen, auf die er meist keine Antwort bekommt, damit er arbeiten darf und um immer mehr von dem zu erzeugen, wovon längst übergenug erzeugt wird.“ Damit bringt Helmut Butterweck in einem Gastkommentar der Wiener Zeitung unser Dilemma auf den Punkt. Wenn Wachstum ein Ersatz für Verteilung war – nach dem Motto „Backen wir einen immer größeren Kuchen, um niemandem etwas nehmen zu müssen“ – dann ist Verteilung auch eine passende Antwort für die Abkehr von der Wachstumsabhängigkeit. Der Staat hätte dann vordringlich die Aufgabe, die Versorgung mit öffentlichen Gütern sicherzustellen – von exzellenten Schulen und Ausbildungsstätten über Wohnraum, der für alle leistbar ist, bis hin zu öffentlichen Infrastrukturen, die dem Gebot der Nachhaltigkeit und dem gleichen Zugang aller entsprechen.
Das Klimavolksbegehren zu unterschreiben, ist daher ein erster Schritt zu demokratiepolitischer Wachsamkeit. Weiterhin wichtig bleiben die öffentlichen Proteste von „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ u.a. Nötig werden in Zukunft wohl auch Klimaklagen sowie deutlichere Signale an die Wirtschaft und Investoren, dass sich Fossilstrategien in Zukunft nicht mehr rechnen werden. Die Aufgabe ist groß, die Segel streichen aber keine Lösung. „Um das Schlimmste noch verhindern zu können, müsste die Weltgemeinschaft auf Nullemissionen bis 2030 setzen“, so Hans-Josef Fell. Es darf kein „zurück zum Status Quo“ geben, denn der bedeutet eine zunehmend beschleunigte Erhitzung des Planeten und eine Gefährdung der menschlichen Zivilisation innerhalb der kommenden Jahrzehnte. Der Klimawandel gilt – anders als die Corona-Pandemie, die unmittelbar durch die täglich veröffentlichen Infektions- und Todeszahlen unmittelbar wahrnehmbar war – noch immer als schleichende Krise, die für viele noch immer zu weit weg ist. Der Meteorologe Sven Plöger spricht von einem „Meteoriteneinschlag in Zeitlupe“. Zumindest in den Köpfen ist die Klimakrise angekommen, wie Umfragen zeigen. Nun braucht es ein entschiedenes Handeln auf allen Ebenen und von allen, die dazu beitragen können: der Politik, den Unternehmen und uns als Bürger*innen.
Mag. Hans Holzinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und pädagogischer Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind nachhaltiges Wirtschaften, Zukunft der Arbeit, neue Wohlstandsmodelle. Er ist Moderator von Zukunftswerkstätten, Mitherausgeber des Magazins „ProZukunft“ und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschienen: „Wie wirtschaften? Ein kritisches Glossar“ (2018), „Von nichts zu viel – für alle genug“ (2016), „Wann lernen Gesellschaften?“ (2020, JBZ-Arbeitspapier) Foto: JBZ /Geiger