Öffentliche Räume nicht mehr aus der „Windschutzscheibenperspektive“ der Autos, sondern aus der Perspektive der Lebensqualität für die Menschen zu denken, nennt der Verkehrsplaner Harald Frey als zentrales Anliegen für eine nachhaltige Stadtplanung. Er war Referent der Veranstaltung „Mobilität der Zukunft“ der Reihe Projekte des Wandels der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Kooperation mit Smart City Salzburg am 24. Juni 2020. Stadträtin Martina Berthold berichtete von Zukunftsplänen für nachhaltige Mobilitätslösungen in Salzburg und die Hürden, die es dafür zu nehmen gibt. Der von Hans Holzinger moderierte Abend kann hier auf JBZ TV nachverfolgt werden.
Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt mittlerweile in Städten. Und die Mobilität der Menschen steigt weiterhin rasant an. Nachhaltig kann nur eine urbane Mobilität sein, die nicht länger dem Klima einheizt, die zugleich Lebens- und Aufenthaltsqualität in die Städte zurückbringt. Im Klartext bedeutet dies einen drastischen Rückbau des Individualverkehrs, um Platz für die Menschen, die Fußgänger und RadfahrerInnen zu schaffen. Dies ist leicht gesagt, aber nicht ganz so leicht umgesetzt: Denn in den Autos sitzen auch Menschen, die wollen bewegt werden – zum Umsteigen!
Harald Frey: Wertewandel in der Stadtplanung ist im Gange
Der Verkehrsplaner Harald Frey der TU Wien plädiert für einen Wertewandel und Paradigmenwechsel: Öffentliche Räume dürfen nicht länger auf Verkehrsräume reduziert werden, sondern sind als Aufenthaltsräume zu denken und zu konzipieren. Die autogerechte Stadt müsse von der menschengerechten Stadt abgelöst werden. Die Gestaltung der öffentlichen Räume dürfen wir daher nicht allein der Verkehrsplanung überlassen, sondern diese müsse zu einer ganzheitlichen Aufgabe für das Schaffen urbaner Lebensqualität werden. Die zentrale These von Frey: Wenn wir das Mobilitätsverhalten von Menschen ändern wollen, müssen wir die Strukturen und Infrastrukturen ändern. Wir brauchen attraktive öffentliche Plätze, die zum Verweilen einladen. Fußgänger und Radfahrende müssen bedeutend mehr Platz bekommen, Stellplätze sind sukzessive zu reduzieren und dürfen nicht mehr kostenfrei zur Verfügung stehen. Und die Vorstellung, dass jeder Bewohner einen Parkplatz vor der Haustür vorfinden muss, sei zu überwinden. Großes Potenzial sieht Frey für Salzburg im Bereich des Radverkehrs, der aufgrund der flachen Topografie einen Anteil von 40 Prozent aller Wege ausmachen könnte – derzeit sind es 20 Prozent.
Im Vortrag zeigte Frey zahlreiche Neuansätze aus Städten unterschiedlicher Länder: vom Vorrang für Radfahrende und Fußgänger über Sharing-Modelle und eine andere Stellplatz-Politik bis hin zu autoarmen bzw. autofreien Wohnanlagen. Verkehrsplanung sei aufgrund widerstreitender Interessen oft mühsam und schwierig , doch der Paradigmenwechsel, der in den theoretischen Debatten über Stadtentwicklung längst stattgefunden hat, werde auch auf die Praxis der Stadtplanung umschlagen, so die Hoffnung von Frey, der nicht nur forschend, sondern seit 15 Jahren auch in der Beratung von Städten und Kommunen tätig ist. Experimentelle Lösungen, etwa temporäre Flächenumwidmungen oder – wie aufrgund der Covid19-Krise – in vielen Städten entstandende Po up-Radwege, seien geeignet, auch dauerhaft neue Lösungen zu erreichen. Frey abschließend: „Die notwendigen Maßnahmen sind seit Jahrzehnten bekannt. Wir müssen uns daher auf die Prozesse konzentrieren, die diese verhindern bzw. die deren Umsetzung möglich machen.“
Stadträtin Martina Berthold: Die konstruktiven Kräfte stärken
Stadträtin Martina Berthold ortet auch für Salzburg eine Art Um- oder Aufbruchsstimmung. In den nächsten Jahren würden weitere Radwegeprojekte umgesetzt, auch in Kooperation mit Umlandgemeinden und Verkehrslandesrat Stefan Schnöll. Gemeinsam mit Vizebürgmeisterin Barbara Unterkofler werden öffentliche Plätze umgestaltet und größere Radinfrastrukturprojekte wie ein Radanschluss nach Freilassing angegangen. An einem gemeinsamen Strang ziehe man auch bei der nun geplanten Stadtregionalbahn. Auch kleinere Projekte wie die Förderung von Lastenrädern oder das Angebot von Leihrädern zum Transport größerer Lasten könnten zum Wandel der Mobilität beitragen. Beim Ausbau des Öffentlichen Verkehrs, etwa im Bereich von Busspuren, ortet Berthold ebenso Handlungsbedarf wie bei der Parkraumbewirtschaftung oder dem Aufbau eines Leihrad-Systems. Viel zu tun sei auch noch im Bereich der Stellplatzreduzierung. Hier seien nicht zuletzt Gespräche mit den Unternehmen, dem Lebensmittelhandel sowie etwa mit Schulen nötig.
Berthold berichtete von ersten Pilotwohnanlagen mit reduziertem Stellplatzschlüssel. Den geplanten Ausbau der Altstadtgarage lehnt die Stadträtin weiterhin strikt ab, was seitens der Grünen im Parteienabkommen auch so deponiert ist. Neue Parkplätze würden nur neuen Autoverkehr anziehen und zudem die umliegenden Stadtteile noch mehr durch Autoverkehr belasten. Auch Berthold betonte, dass die Umsetzung innovativer Lösungen manches Mal schwierig und „Parkplätze heilig“ seien. Es gehe daher darum, die Anliegen der Fußgänger und Radfahrenden zu unterstützen sowie die konstruktiven Kräfte zu stärken. Das Fazit der Stadträtin: „Wir brauchen eine faire Verteilung des öffentlichen Raums und offene Debatten darüber unter Beteiligung aller Betroffenen.“
Dass es den Wunsch nach Veränderungen im Bereich der Mobilitätsstrukturen in Salzburg gibt, macht eine aktuelle Umfrage deutlich: 66 Prozent sprachen sich demnach beispielsweise für eine autofreie Innenstadt aus. Auch die zahlreichen per Chat eingebrachten Diskussionsbeiträge plädierten für den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und der Infrastruktur für Radfahrende und Fußgänger.
Bericht und Videoschnitt: Hans Holzinger