Äthiopien ist derzeit ein Schwerpunktland der Salzburger Entwicklungszusammenarbeit. Die JBZ hat im Auftrag des Landes Salzburg und in Kooperation mit dem Entwicklungspolitischen Beirat des Landes eine Fachtagung mit Expert:innen sowie Vertreter:innen von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit ausgerichtet. Organisiert und moderiert wurde die Tagung von Hans Holzinger (JBZ). Die Vorträge und Projektberichte sind auf JBZ TV nachzusehen. Der folgende Bericht enthält zudem die Folienpräsentationen.

Teil 1: Fachreferate zur aktuellen Lage in Äthiopien im Kontext von Entwicklungszusammenarbeit
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Begrüßung durch Landesrätin Andrea Klambauer und Amelie Höring vom Entwicklungspolitischen Beirat
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2019 hat die Salzburger Landesregierung die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit deutlich erhöht. 2021 wurden Projekte in insgesamt 15 Ländern unterstützt. Äthiopien ist seit 2020 ein Schwerpunktland. Landesrätin Andrea Klambauer bedankte sich in ihrer Begrüßung für die Ausrichtung der Tagung, die einen Einblick in die bisher geförderten Projekte gibt. Informationen über die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage des Landes würden die weiteren Entscheidungen des Landes unterstützen. Dies bestätigte auch Amelie Höring, Vorsitzende des Entwicklungspolitischen Beirats des Landes.

Belachew Gebrewold: Äthiopien als aufstrebendes Land, Klimawandel, COVID19 und Krieg als Problem
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Im ersten Vortrag schilderte der Politikwissenschaftler Belachew Gebrewold vom MCI Innsbruck die aktuelle wirtschaftliche, soziale und politische Lage in Äthiopien, dem mit ca. 112 Millionen Einwohner:innen zweitbevölkerungsreichsten und immer noch armen Land Afrikas. Bis 2020 zählte die äthiopische Wirtschaft mit knapp 10 Prozent durchschnittlichem Wirtschaftswachstum jedoch im letzten Jahrzehnt zu den am schnellsten wachsenden Ökonomien der Welt. Dadurch habe sich auch die soziale Lage vieler Menschen verbessert, so Gebrewold anhand von Daten des Human Development Index (HD): die Lebenserwartung stieg von 47 Jahren im Jahr 1990 auf über 66 Jahre 2019, die erwartbare Höhe der Jahre, die Kinder in der Schule verbringen, erhöhte sich von 3 auf über 8. Das Pro Kopf-Bruttonnationalprodukt des Landes hat sich von 763 Dollar (1990) auf über 2.200 Dollar (2019) verdreifacht. Doch die Verteilung des Wohlstandszuwachses sei nach wie vor sehr ungleich, so Gebrewold, auch wenn sich das Bildungsniveau und und Basisinfrastrukturen auch in ländlichen Gebieten verbessert hätten.

Als akute Probleme bzw. Entwicklungsherausforderungen benannte der Experte die COVID19-Krise, die zu Preissteigerungen bei Gütern des täglichen Bedarfs, zu mehr Arbeitslosigkeit und einem Wiederansteigen der Armut geführt habe. Dazu käme die aktuelle politische Instabilität, eine große Heuschreckenplage 2019/2020 in ganz Ostafrika sowie der sich verschärfende Klimawandel, der im Laufe der Tagung mehrmals angesprochen wurde. Die starke Ungleichheit im Land bezifferte Gebrewold anhand von Vermögensdaten: während das oberstes ein Prozent der Bevölkerung ca. 14 Prozent des Gesamtvermögens besitzt, fallen auf die unteren 50 Prozent insgesamt nur ca. 16 Prozent.

Länger ging Gebrewold auf den aktuellen Konflikt um die Tigray-Region ein. Die Tigray Befreiungsfront (TPLF) hatte über viele Jahre die politische, militärische und ökonomische Macht bzw. Dominanz im Land. Mit der Wahl von Abiy Ahmed 2018 zum Regierungschef sollten das Land Demokratisierungsschritte und Wirtschaftsreformen eingeleitet werden. Der ethnische Föderalismus sollte durch einen einheitlichen aber pluralen Staat auf Basis politischer Ideen abgelöst werden. Bisher seien unter keinem Regierungschef so weitreichende Reformen eingeführt worden, so Gebrewold. Er nannte die Legalisierung der Opposition, die Errichtung der Menschenrechtskommission sowie eine reformierte Wahlkommission. Der Friedensschluss mit Eritrea bescherte Abiy den Friedensnobelpreis 2019. Doch die TPLF wollte die neue Lage nicht akzeptieren und zielte auf einen eigenen Staat im Staat, so Gebrewold. Nach Ausbruch des Krieges hätten sich die Fronten verhärtet und es gebe Verbrechen auf beiden Seiten. Doch der Westen, die USA und EU, würden nur die Vergehen der Regierung sehen, kritisierte Gebrewold. Die Regierung habe sich daher China und Russland zugewandt, obwohl das Wirtschaftssystem westlich ausgerichtet und das menschenrechtlich problematisch sei. Die Bevölkerung stehe mehrheitlich hinter Abiy und die Wut auf den Westen nehme zu. Der äthiopische Politikwissenschaftler hoffte auf eine Deeskalation der Lage. Eine Lösung könne nur von innen kommen, alle Konfliktpartner sowie die Vertreter:innen der Religionen müssten ich an den Verhandlungstisch setzen.

Friedbert Ottacher: Äthiopien als Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit weiterhin wichtig [Video ab Minute 30] [Download Folien]

Friedbert Ottacher bestätigte die Aufbruchsstimmung von Äthiopien vor ein paar Jahren, wie er anhand einer Publikation des Berlin Instituts „Vom Hungerland zum Hoffnungsträger“ darlegte. Auch die Wahl von Abiy 2018 und der Friedensschluss mit Eritrea galten als Hoffnungsmomente. Für Österreich sei Äthiopien ein wichtiges Partnerland – es gibt seit langem eine Botschaft und seit 1993 auch intensivere Kooperation im Bereich der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Seit 1993 ist Äthiopien eines der elf Schwerpunktländern der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Seit 1996 gibt es ein eigenes Kooperationsbüro in Addis Abeba. 2020 lag Äthiopien an 3. Stelle in der Förderrangliste, 2021 werde es wegen großer Katastrophenmittel an die erste Stelle rücken, so der Entwicklungsexperte.

Ottacher schilderte in der Folge die verschiedenen Förderschienen: Direktförderungen an den Staat seien stark zurückgegangen. Ein großer Teil der Förderung gehe an zivilgesellschaftliche Organisationen wie Care, Caritas, Österreichisches Rotes Kreuz, Licht für die Welt und Horizont 3000. Zudem gebe es Forschungsgelder für die Kooperation von österreichischen und äthiopischen Universitäten, Calls zu bestimmten Themen sowie Unterstützung für Unternehmen, die in Äthiopien investieren wollen. Letzteres werde aber bisher zu wenig genutzt, da bislang nur wenige österreichische Unternehmen in Äthiopien investieren. Einen großen Teil machen Mittel aus dem Katastrophenfond aus – 5 Millionen Euro wurden 2021 dafür bereits gegeben, u.a. zur Unterstützung des World Food Programme. Kleinprojekte werden über das Koordinationsbüro in Addis Abeba gefördert. Ein über die Austrian Development Agency (ADA) selbst durchgeführtes Projekt betrifft Fragen der Sicherheit am Horn von Afrika.

Als Schwerpunkt der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit wurde die Amhara-Region im Norden Äthiopiens festgelegt. Was wird gefördert? Ottacher nannte folgende Bereiche: Die Unterstützung des Aufbaus von Verwaltungsstrukturen, Förderung der Ernährungssicherheit und Resilienz. Querschnittmaterien seien Gendergerechtigkeit und Inklusion, also die Unterstützung von benachteiligten Gruppen. Wie es im Land weitergehen werde, sei schwer zu sagen, so Ottacher. Die Lage sei angespannt, auch in der Hauptstadt Addis Abeba. Die internationalen Fördergeber würden sich regelmäßig absprechen und auch Druck auf die Regierung ausüben. Zu wünschen sei eine Befriedung der Situation, auch wenn die Fronten derzeit verhärtet sind. Wichtig bleibe aber, dass die Aktivitäten der Entwicklungszusammenarbeit fortgeführt werden.

Claire Laurent: Die Frauen in Äthiopien sind nach wie vor stark benachteiligt, Frauenprogramme daher sehr wichtig
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Die Verfassung Äthiopiens schreibe Gleichberechtigung der Geschlechter vor. Doch die Praxis sehe, wie in den meisten Ländern, anders aus, so Claire Laurent, Programmkoordinatorin für Ostafrika von CARE Österreich. Äthiopien sei ein sehr vielschichtiges Land, daher gebe es nicht „die“ äthiopische Frau. Doch generell seien Frauen nach wie vor stark benachteiligt: in Bezug auf den Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt, zu politischen Ämtern. Zudem laste die Hausarbeit allein auf den Frauen; und viele seien auch Gewalt ausgesetzt. Laurent belegte dies mit aktuellen Daten aus dem Global Gender Report 2020: Nur 44 Prozent der Frauen können lesen und schreiben (im Vergleich zu 59 Prozent der Männer) und aktuell besuchen fast 20 Prozent der Frauen keine Volksschule. Nur knapp 28 Prozent der Geburten werden von Fachpersonal betreut und nur 43 Prozent der Frauen erhalten eine regelmäßige Schwangerschaftsvorsorge, was zu einer relativ hohen Müttersterblichkeitsrate führt. Das Durchschnittsalter der Frauen wird laut Ethiopian Demographic and Health Survey 2016 mit 17 Jahren angegeben, während es bei Männern 23 Jahre beträgt. 28 Prozent der Frauen sind mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt geworden.

Die Benachteiligung der Frauen ist ein weltweites Phänomen und besonders stark in Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen. Krisen wie die aktuelle Pandemie oder der Klimawandel verschärfen die prekäre Lage von Frauen. Laurent schilderte anhand Daten der PRB Forschungsgesellschaft die zentralen Problemfelder: Weltweit wird erwartet, dass über 5 Millionen junge Mädchen jährlich noch immer aus der Schule genommen werden. Geschätzte 49 Millionen Frauen fehlt der Zugang zu Verhütungsmitteln. Die Zahl der Menschen mit unsicherer Ernährungslage hat sich durch die Pandemie verdoppelt. Frauen seien davon noch stärker betroffen als Männer, obwohl sie knapp die Hälfte der Kleinbauern stellen, so Laurent. 70 Prozent der Frauen in den Ländern mit niedrigem Einkommen sind nach wie vor im informellen Sektor tätig. Und jene, die eine reguläre Erwerbsarbeit haben, werden rascher gekündigt. Eine letzte Zahl: Weltweit ist eine von drei Frauen zumindest einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. Die Pandemie verschärfe die Lage.

Lösungsansätze gebe es wie Sand am Meer und sie seien durchaus bekannt, so Laurent. Wichtig sei ein besseres Verständnis der Lage und unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen, das Ernst-Nehmen ihrer Erfahrungen, die Unterstützung von Frauen, Führungspositionen zu übernehmen und wirtschaftliche Eigenständigkeit anzustreben, da Frauen noch immer überwiegend die häuslichen Tätigkeiten verrichtet. Zudem sei es wichtig, das Bewusstsein der Männer zu schärfen, sich ebenfalls stärker für Gendergerechtigkeit einzusetzen. Das Gender Framework von CARE gehe von drei Bereichen aus: auf der individuellen Ebene die Förderung von Vertrauen, Selbstwertgefühl und beruflichen Fertigkeiten, auf der Ebene der Beziehungen die Überwindung von Ungleichheiten und Unterdrückung sowie auf struktureller Ebene die Schaffung von Bedingungen, die die Lage und Rolle der Frauen in der Gesellschaft verbessern. Das Thema Gender sei in der Entwicklungszusammenarbeit weiterhin besonders wichtig. Es gehe einfach um einen gleichberechtigten Zugang der Frauen – die Hälfte der Bevölkerung – zu allen gesellschaftlichen Bereichen.

Diskussion der Referate: Auswege aus der politischen Krise, wirtschaftliche Entwicklung und Nachhaltigkeit
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In der Diskussion ging es nochmals um den politischen Konflikt mit der TPLF und mögliche Lösungswege, um Nachhaltigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit sowie die Stärkung der Rolle der Frauen in Äthiopien.

Belachew Gebrewold bestärkte, dass der politische Konflikt von Äthiopien selbst gelöst werden müsse und ein Dialog aller Beteiligten nötig sei. Der größte Teil der Bevölkerung unterschiedlicher Ethnien stehe hinter Abiy und verstehe nicht, warum die USA und EU nur Kritik an der äthiopischen Regierung übe und nicht sehe, was in den letzten 27 Jahren an problematischen Vorfällen unter der TLFP gegeben habe. Die Verhärtung der Fronten sei gefährlich, der Westen könne am besten helfe, wenn er den Druck auf die Regierung beende. Bis Ausbruch des Krieges sei die neue äthiopische Regierung ausgerichtet gewesen, die Zuwendung zu China und Russland sei durch die Kritik des Westens entstanden. Die TPLF sei aufgrund ihrer langjährigen Macht an der Regierung international gut vernetzt und mache hie ihren Einfluss geltend.

Auf die Frage, ob außer Tigray auch andere Regionen von der Krise betroffen sei und ob es Sinne mache, weiter Entwicklungshilfe zu geben, meinte Ottacher, dass im Süden des Landes nichts von den Spannungen zu spüren sei, in Addis Abeba aber schon. Äthiopien erhält über 1 Milliarde Dollar Entwicklungshilfe im Jahr, sei daher nach wie vor stark vom Westen abhängig. Die Geberländer würden sich absprechen und die Lage immer neu sondieren. Als wichtigstes Exportgut nannte Ottacher Kaffee, es gebe aber auch Bestrebungen, einen Textil- und Schuhsektor aufzubauen. Gebrewold ergänzte die Wichtigkeit des Ausbaus der Infrastrukturen, etwa zur Stromversorgung. Kooperationen im Bereich erneuerbarer Energie wären hier sinnvoll. Der Frage von Hans Eder von InterSol nach einem eigenständigen afrikanischen Weg der Entwicklung begegnete Gebrewold mit Skepsis. Die Globalisierung sei ein Faktum und internationale Verflechtungen können auf beiden Seiten Gewinner bringen. Österreich könne im eigenen Interesse mehr im Bereich nachhaltiger Entwicklung in Äthiopien tun, etwa im Technologietransfer. Wichtig sei auch die Entwicklung der ländlichen Räume. Generell sei wichtig, dass die strategischen Interessen der Geberländer offengelegt werden, denn diese gebe es nicht nur seitens China, sondern auch seitens der USA und EU.

Claire Laurent betonte, dass nachhaltige Lösungen nur gefunden werden können, wenn die Betroffenen vor Ort gefragt werden, was sie tatsächlich brauchen und wenn Projekte über einen längeren Zeitraum laufen. Jede Veränderung, insbesondere jene der Veränderung sozialer und kultureller Normen, brauche Zeit. Hinsichtlich Gendergerechtigkeit sei es wichtig, auf die Frauen zuzugehen und sie zu stärken. Denn wenn die Männer alle wichtigen Entscheidungspositionen haben, sei es schwer, dies aufzubrechen. Gebrewold bestärkte dies: es sei wichtig, dass Mädchen Bildung bekommen und Frauen auch in der Politik Gehör finden – derzeit sei eine Frau Präsidentin des Landes (sie hat übrigens die Kriegspolitik von Abiy kritisiert) und es gebe auch eine Dekanin an einer technischen Universität.

Zum Thema Genitalverstümmelung, die in Äthiopien offiziell verboten, aber noch weit verbrietet ist, meinte Laurent, dass hier viele Mythen am Werk seien und auch viele Frauen nach wie vor dafür seien. Der wichtigste Grund: die Eltern wollen, dass die Töchter verheiratet werden. Die Ehe sei noch immer die Existenzsicherung für viele Frauen. es sei nötig, hier alle Beteiligten zusammenzubringen: die Männer und Frauen, die Dorfältesten, jene Frauen, die die Beschneidungen durchführen.

Friedbert Ottacher zeigte sich besorgt über die aktuelle Verhärtung der Fronten. Anders als die USA oder Großbritannien sei Österreich politisch wenig exponiert und wird auch weiterhin Projekte der Entwicklungszusammenarbeit umsetzen. Er begrüßte auch, dass Salzburg derzeit Äthiopien als Schwerpunktland ausgewählt hat. Man könne dort sehr viel bewirken.

Teil 2: Präsentation von Salzburger Projekten der Entwicklungszusammenarbeit
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Sechs Projekte der Entwicklungszusammenarbeit wurden vorgestellt, fünf davon haben bereits eine Förderzusage des Landes, das sechste Projekt liegt dem entwicklungspolitischen Beirat zur Begutachtung vor. Einführend informierte Holzinger über die Homepage „GofairSalzburg“, der alle vom Land Salzburg geförderten Projekte sowie aktuelle Infos zur Entwicklungszusammenarbeit im Land Salzburg zu entnehmen sind. Zudem stellte er die im Aufbau befindliche digitale Projekte-Landkarte kurz vor.

Markus Schwarz-Herda, Menschen für Menschen: Bau einer städtischen Wasserversorgung für Bake Kelate
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Menschen für Menschen sei vor allem in benachteiligten ländlichen Regionen aktiv und verfolge einen ganzheitlichen Ansatz. Es gehe um Bildung, Ernährungssicherheit, Aufforstungsmaßnahmen, eine gesicherte Trinkwasserversorgung und Hygienebedingungen, so Markus Schwarz-Herda. Letzteres sei Ziel eines gemeinsam mit Austrian Doctors umgesetzten und vom Land Salzburg geförderten Projektes in Bake Kelate, einer ländlichen Kleinstadt rund 200 Straßenkilometer von Addis Abeba entfernt. Eine Stadt mit wichtigen Infrastrukturen für die Region Abunde Ginde Beret wie Schulen, einem Gesundheitszentrum oder einem Markt. Die Problemstellung in der Region sei der fehlende Zugang zu sauberem Trinkwasser, fehlende Hygienebedingungen und die daraus entstehenden gesundheitlichen Probleme. Als Projektziel wurde vereinbart, den nachhaltigen Zugang zu Trinkwasser von gegenwärtig 26 auf 100 Prozent und jenen des Zugangs zu sanitären Einrichtungen von 31 auf 60 Prozent zu erhöhen.

Die Maßnahmen umfassen die Bohrung von zwei Tiefbrunnen außerhalb der Stadt, die Beauftragung einer äthiopischen Baufirma zur Errichtung der Infrastruktur einschließlich eines Wasserreservoirs und der Wasserleitungen. Gebaut werden öffentliche Brunnen in der Stadt, Wasseranschlüsse für Schulen und das Gesundheitszentrum sowie Duschhäuser in drei Schulen. Wichtig sei die Beteiligung der örtlichen Bevölkerung, so Schwarz-Herda. Beim Verlegen der Rohrleistungen über mehrere Kilometer bringen die Bewohner:innen der Stadt wichtige ehrenamtliche Arbeitsleistung ein. Ein von der Bevölkerung gewähltes Wasserkomitee, dem vier Frauen und drei Männer angehören werden, legt den Entnahmepreis für das Wasser fest und regelt alle nötigen Belange. In Trainings werden die zuständigen Gemeindemitarbeiter:innen, das Wasserkomitee sowie die Frauen, die den Eigenbeitrag bei den öffentlichen Brunnen kassieren sollen, ausgebildet. Schwarz-Herda sprach von einem Programm, das die Lebensqualität der Menschen vor Ort steigern und die Belastung der Frauen verringert, die häufig viele Kilometer Wasserholen gehen müssen.

Wolfgang Heindl, Sei so frei: Integrierte Gemeindeentwicklung in der benachteiligten Region Borana mit dem Ziel von mehr Resilienz
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In diesem Projekt von Sei so frei geht es um eine Diversifizierung der Landwirtschaft in einer Region, die immer wieder von Dürren heimgesucht wird und den Klimawandel stark spürt. Borana sei sehr abgelegen, es gebe nur rudimentäre Infrastrukturen, wenig Schulen und auch keine Entwicklungsorganisationen, die in der Region tätig sind, so Wolfgang Heindl. Mit SCORE, eine kirchliche Entwicklungsorganisation in Äthiopien, die seit 40 Jahren Erfahrungen in der Gemeindeentwicklung hat, sei aber ein guter Partner gefunden worden. Eine durchgeführte Erhebung hat ergeben, dass die Menschen in der Region fasst ausschließlich von Rindern in semi-nomadischer Viehzucht leben, so Heindl weiter. Dies sei aufgrund der häufiger werdenden Dürren problematisch – aufgrund fehlenden Wassers sterben immer mehr Tiere und es komme auch zu Konflikten um den Zugang zu Wasserstellen. Die Studie habe zudem hohe Analphabetenraten von 70 Prozent (Männer) bis 80 Prozent (Frauen) ergeben. Integrierte Gemeindeentwicklung bedeute daher, dass partizipativ gearbeitet wird und alle Bereiche wie Einkommen, Gesundheit & Wasser, Bildung und Frieden berücksichtigt werden mit dem Ziel, die Armut zu bekämpfen und mehr Resilienz zu schaffen.

Das weitgehend vom Land Salzburg finanzierte Projekt läuft über zwei Jahre. Im ersten Projektjahr bekamen 75 Frauen 150 Ziegen und 345 Hühner, mit denen sie ihre Ernährungsgrundlage diversivizieren können. 135 Haushalte wurden in sieben Gruppen organisiert und 170 Zuchtbullen zur Verfügung gestellt. Im Bereich Bildung wurden 70 Lehrkräfte geschult und zwei Schulen renoviert einschließlich der Ausstattung mir Solaranlagen. Im Gesundheitsprogramm konnten bisher zwei Brunnen renoviert und zwei Gesundheitsposten ausgebaut, 60 Gesundheitshelfer:innen geschult und WASH-Clubs an drei Schulen gegründet werden. Mädchen bekommen Binden, damit sie auch während der Menstruation die Schule besuchen können. Wichtig sei auch der Aspekt der konstruktiven Konfliktbearbeitung, wenn es Probleme wegen knapper Wasserstellen gäbe, so Heindl. Als Herausforderungen benannte er zum einen die Pandemie, die Projektfortschritte bremsen könnte, da über lange Zeit keine öffentlichen Versammlungen möglich und die Schulen geschlossen waren. Zum anderen verschärfen die zunehmenden Dürren die Lebensbedingungen der Menschen – wenn Rinder verenden, fallen Ernährungsgrundlagen weg. Umso wichtiger sei es, den Menschen diversivizierte Existenz- und Einkommensmöglichkeiten zu geben.

Herbert Kiennast, Dreikönigsaktion: Partizipative Gemeindeentwicklung und Sicherung nachhaltiger Lebensgrundlagen in Oromia und im Süden Äthiopiens
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Die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar ist seit den 1980er-Jahren in Äthiopien tätig und arbeitet vor Ort mit kirchlichen Partnerorganisationen sowie NGOs zusammen, die die Projekte umsetzen. Enge Kooperationen gibt es auch mit Partnern wie HORIZONT 3000, dem österreichischen Sozialministerium oder der Stadt Wien. Schwerpunkte der Arbeit in Äthiopien sind landwirtschaftliche Entwicklung, Jugendprojekte, die Unterstützung von Minderheiten und marginalisierten Gruppen sowie die Förderung von Mädchen und Frauen, so Herbert Kiennast. Das bei der Tagung vorgestellte, vom Land Salzburg geförderte Projekte hat die Verbesserung der Ernährungssicherheit in ebenfalls häufig von Dürren bzw. dem Ausbleiben der Regenzeit betroffenen Regionen zum Ziel. Es werden landwirtschaftliche Arbeitsmittel und Saatgut zur Verfügung gestellt, Trainings zu einer naturnahen Bodenbewirtschaftung und Schädlingsbekämpfung („conservation agriculture“) sowie zu Ernte, Lagerung und Vermarktung durchgeführt. Der Aufbau von Gemüse- und Obstgärten soll die Ernährungssicherheit erhöhen. In einem Ziegenprojekt werden Trainings zur Tierhaltung und Viehzucht sowie Impfprogramme für Nutztiere durchgeführt. Neben den Dürren nannte Kiennast auch Überschwemmungen sowie verstärkt Heuschreckenplagen als verschärfende Probleme.

Teil des Projektes ist die wirtschaftliche, soziale und politische Stärkung von Frauen. Kiennast berichtete von gegründeten Frauen-Selbsthilfegruppen und deren Schulungen, von Trainings für weiblichen Führungspersonen sowie von Alphabetisierungsmaßnahmen. Als einkommensschaffende Aktivitäten werden Frauenprojekte im Bereich Viehzucht, Bienenzucht, Kleinhandel und Handwerk gefördert. Um der geschlechtsspezifischen Gewalt und schädlichen traditionellen Praktiken („harmful traditional practices“) entgegenzuwirken, werden Schulungen von Mädchen und Frauengruppen (sowie auch von Männern) zu Geschlechtergerechtigkeit, Frauenrechten und geschlechtsspezifischer Gewalt angeboten. Kiennast betonte, dass es in Äthiopien eine reiche Kultur des Miteinanders gäbe, auf der bei den Projekten aufgebaut werden könne, und er hoffte – wie seine Vorredner:innen, auf eine friedliche Lösung der aktuellen Konflikte.

Walter Schmidjell, AMREF: Hygieneprogramme zur Erhöhung der Lebensqualität und gesundheitlichen Versorgung
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Walter Schmidjell, Obmann von AMREF Austria – Fliegende Ärzte Afrika, schilderte die Aktivitäten seiner Organisation in Äthiopien. AMREF sei bereits fast ein halbes Jahrhundert in Äthiopien aktiv und hat vor Ort über 200 Mitarbeiter:innen, über 60 Prozent davon sind Frauen. Nachdem das Land Salzburg vor einigen Jahren ein Projekt zu Hebammenausbildungen zur Überwindung von Genitalverstümmelung in Äthiopien unterstützt hat, wird nun ein Hygiene-Programm an der Südgrenze zum Sudan nahe Flüchtlingslagern des UNHCR gefördert. AMREF habe in seinen WASH-Programmen seit 2017 in Äthiopien bisher über eine Million Menschen mit sauberem Trinkwasser und 700.000 Personen mit Sanitäranlagen versorgt, berichtete Schmidjell.

Im aktuellen seit 2017 laufenden und vom Land Salzburg für ein Jahr geförderten Projekt werden Wasserstellen und Sanitäranlagen errichtet. Zudem wird eine Müllverbrennungsanlage gebaut. An die 25.000 Community Health Workers seien von AMREF bisher im Programm ausgebildet worden, weitere sollen folgen. Auch Schmidjell betonte, dass die COVID-19-Pandemie großen Schaden in Bezug auf die wirtschaftliche Lage der Menschen in Äthiopien angerichtet hat, die nun durch den Krieg weiter verschärft werde. Über AMREF-Projekte im umkämpften Tigray könne er derzeit nichts berichten. Er befürchtete eine weitere Zuspitzung des Konflikts, da Angriffe nicht nur durch Tigray-Kämpfer, sondern auch von Rebellen aus Oromia, also vom Süden her, zu befürchten seien.

Veronika Perthaner-Maeke, Verein Buntstifte: Landwirtschafts- und Frauenprojekte in einem Slum von Addis Abeba sowie am Land [Video 3 ab Minute 1] [Download Folien]

Der Verein Buntstifte ist ein gemeinnütziger Spendenverein mit Sitz in Hallein und wird geleitet von Veronika Perthaner-Maeke. Buntstifte führt ausschließlich Projekte für Frauen und Kinder durch und hat zwei Aktionsgebiete – eines in der Stadt Addis Abeba und eines in ländlichen Regionen. In der West Arsi Zone im Regionalstaat Oromia werden aktuell Frauen gefördert, um sich eine eigene wirtschaftliche Existenz aufbauen zu können. In einem genossenschaftlich geführten Verband teilen sich 120 Frauen nach Interesse und Möglichkeiten in Gruppen, wie z.B.  Bienen-, Hühner- oder Getreidegruppen. Es werden aber auch Hausbrunnen und Kompostanlagen errichtet und kleine Solarzellen installiert. Die Erträge werden genossenschaftlich verwaltet und beispielsweise in die Renovierung von Schulen investiert. Buntstifte stellt das Equipment zur Verfügung und führt Schulungen mit den Frauen durch, etwa zum Bereich Marketing. Das Ziel von „Buntstifte Land“ ist, dass die Frauenkooperativen nach drei Jahren Anlaufzeit selbstständig und ohne weitere Zuschüsse funktionieren. Kooperiert wird mit Partnerorganisationen vor Ort wie SOS Sahel Äthiopien..

„Buntstifte Stadt“ unterstützt obdachlose Frauen bzw. solche in prekärer Wohnsituation in Kotebe, einem Slum in Addis Abeba. Die Arbeit hier wird vom Verein Buntstifte selbst durchgeführt. Frauen und Kinder werden von den Straßen aufgenommen und schrittweise in ein selbständiges Leben begleitet. Am Beginn stehen Wohnungssicherung und Krankenbehandlung. Zentrale Aufgabe ist die Schulbildung der Kinder. So werden sämtliche Schul- und Ausbildungskosten übernommen,  Schulkinder erhalten zusätzlich in einer vom Verein betriebenen „Kreativschule“ Nachhilfeunterricht und am Wochenende Angebote zur Kreativitätsförderung. So wurden beispielsweise Plakate über Addis Abeba gemalt und mit Partnerschulen, wie der Volksschule Kraiwiesen, ausgetauscht. Das weitere Ziel sei aber auch hier, Frauen, die sich mit Schwerstarbeit etwa durch Holzsammeln über Wasser halten müssen, eine bessere wirtschaftliche Basis zu schaffen, so Perthaner-Maeke. Es werden Berufsausbildungen, Gesundheits- und Hygiene-Workshops angeboten, die den Frauen den Weg in die Selbständigkeit erleichtern. Perthaner-Maeke betonte, dass alle Projekte von den Bedürfnissen der Frauen abgeleitet und partnerschaftlich mit den Betroffenen geplant werden. Der Verein „Buntstifte“ hat die Spendenbegünsitgung – Zuwendungen sind daher steuerlich absetzbar.

Rebecca Fischer, Keith Elliott, Ingenieure ohne Grenzen: Eine sichere Brücke für Ifa Biyya in der Region Oromia
[Video 3 ab Minute 15] [Download Folien]

Als letztes wurde ein Projekt des Vereins „Ingenieure ohne Grenzen“ vorgestellt, das dem Entwicklungspolitischen Beirat zur Begutachtung vorliegt. Rebecca Fischer, Obfrau des gemeinnützigen österreichweiten Vereins mit Sitz in Rif/Hallein, berichtete über die Aktivitäten des Vereins, in dem Ingenieur:innen und Architekt:innen ehrenamtlich in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind. Der Verein versteht sich als Plattform für soziales Engagement mit derzeit 270 Mitgliedern – von Studierenden bis Senior Experts, so Fischer. Das Ziel sei, Projekte in technischer Entwicklungszusammenarbeit durchzuführen. Die Projekte beziehen sich auf konstruktiven Ingenieursbau, Wasser- und Energieversorgung, Sanitäranlagen und Bildungsmaßnahmen. Wichtig sei dem Verein, dass nach Möglichkeit lokal bzw. regional vorhandene Baumaterialen verwendet werden und dass äthiopische Unternehmen die Aufträge durchführen, so Fischer. Zudem gehe es um Know how-Transfer und das Lernen aus Projekten durch eine ordentliche Evaluierung.

Derzeit sind sieben Projekte in Umsetzung, die jeweils von den Regionalgruppen durchgeführt werden. Eines davon ist der Bau einer Brücke für den Ort Ifa Biyya in der Region Oromia. Der Ort ist zweigeteilt und nur über eine sehr desolate Holzbrücke verbunden. 750.000 Überquerungen pro Jahr hat eine Erhebung ergeben, so Fischer. Die hohe Frequenz ergäbe sich aus dem Umstand, dass sich die Schule, die Kirche, das Gesundheitszentrum sowie der Markt in einem Dorfteil befinden, die Bewohner:innen des anderen Dorfteils müssten daher immer den Fluss überqueren. Bei Hochwasser sei ein Umweg von bis zu sieben Kilometern zurückzulegen, bei Austrocknung des Flusses bestehe die Gefahr von Abstürzen von der Behelfsbrücke. Mit der neuen Brücke soll das Dorfleben erleichtert und verbessert werden. Die Querung des Flusses auch für Zugtiere und Lastwägen soll die wirtschaftliche Entwicklung der Region fördern. Partner vor Ort ist die Environmentalists Development Association Ethiopia. Keith Elliott, Leiter des Brückenprojekts seitens Ingenieure ohne Grenzen schilderte den Planungsstand. Es wurden unterschiedliche Brückenkonstruktionen durchgespielt. Die Entscheidung fiel auf eine Stahlbrücke, weil diese hohe Stabilität aufweise, lange halte und in der Errichtung einfacher sei als eine Betonbrücke. Eine ebenfalls vorgeschlagene Hängebrücke sei von den Dorfbewohner:innen nicht gewünscht gewesen, da diese bei Unwettern schlecht zu überqueren sei. Zudem sollten, wie bereits dargelegt, auch Güter über die Brücke transportiert werden können, was eine genügend breite und auch stabile Konstruktion erfordere. Die Brückenpfeiler müssten tief im Boden verankert werden, um auch bei Hochwasser stabil zu bleiben, so der Ingenieur.

Diskussion mit allen Projektträger:innen: Zusammenarbeit auf Augenhöhe, transparente Geldflüsse, Motivation durch konkrete Verbesserungen [Video 3 Minute 35]

In der abschließenden Diskussion mit allen Projektträger:innen wurde nochmals betont, das die Entwicklung von Projekten mit den Betroffenen und auf Basis von deren Bedürfnissen erfolgen müsse. Wichtig sei auch der Aufbau von Vertrauen. Auf die Frage, ob die Gelder der Entwicklungszusammenarbeit auch direkt bei den Menschen vor Ort ankommen, wurde von allen eine sehr transparente Abwicklung der Geldflüsse mit den Kooperationspartnern vor Ort betont. Es gäbe auch Vereinbarungen mit kommunalen Regierungen sowie – bei größeren Vorhaben – teilweise auch Verträge mit der Zentralregierung, in denen vereinbart wird, wer welche Beiträge leistet. In Bezug auf die vom Moderator abschließend gestellte Frage nach der persönlichen Motivation für das Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit wurde insbesondere erwähnt, dass es befriedigend sei, konkrete Verbesserungen der Lebensbedingungen der Menschen mitverfolgen zu können. Genannt wurde auch, zumindest einen kleinen Beitrag zur Überwindung der globalen Schere zwischen Arm und Reich leisten und durch Begegnungen mit den Menschen und deren Lebenssituation auch bereichernde Erfahrungen machen zu dürfen. Viele kleine Initiativen an vielen Orten könnten letztlich doch etwas Großes bewirken. Dies bestätigte auch Severin Schwaiger von den Austrian Doctors, einem der Partner der derzeit vom Land Salzburg geförderten Projekte in Äthiopien.