„Wir müssen die Strukturen ändern, damit das nachhaltige Verhalten attraktiver wird als das nicht nachhaltige“, damit lässt sich das Konzept der „Ökoroutine“ von Michael Kopatz zusammenfassen. Der Projektleiter am Wuppertal-Institut für Umwelt, Klima, Energie war am 7. Dezember 2021 zu Gast in der JBZ-Reihe „Projekte des Wandels“ in Kooperation mit Smart City Salzburg. Er diskutierte mit Stadträtin Martina Berthold über Neuansätze für eine zukunftsfähige Stadt, moderiert von Hans Holzinger (JBZ). Der Vortrag und die Diskussion sind auf JBZ TV anzusehen. Die Bücher „Schluss mit der Ökomoral“ und „Wirtschaft ist mehr“ von Kopatz können in der JBZ gegen eine Spende erworben werden. Hier ein kurzer Bricht von der Veranstaltung.

Alle Konsum- und Mobilitätstrends weisen nach wie vor in die verkehrte Richtung. Doch mit moralischen Appellen werden wir die notwendigen Transformationen nicht hinkriegen, betonte Kopatz einführend. Menschen fahren mit dem Auto, solange das bequemer ist. Und sie kaufen dass Billigfleisch für den teuren Griller, solange dieses billig ist, weil es in der Tierhaltung keine begrenzenden Vorschriften gibt. In Umfragen seien alle für „Öko“, „Bio“, „Fair Trade“ und „Klimaschutz“, das praktische Verhalten sehe jedoch diametral anders aus. Nachhaltiges Verhalten friste nach wie vor ein Nischendasein. Doch: „Wenn wir die Verhältnisse verändern, dann folgt das veränderte Verhalten der Menschen von selbst.“ Das Ziel müsse die Ermöglichung neuer Routinen sein, eben von „Ökoroutinen“, die Kopatz in dem gleichnamigen Buch beschreibt. Eine zukunftsfähige Stadt brauche daher eine innovative und mutige Kommunalpolitik.

Kopatz machte diese an einer neuen kommunalen Wirtschafts- und Verkehrspolitik deutlich. Wirtschaftsförderung werde ausschließlich als Unternehmensförderung mit dem Ziel der Ansiedlung neuer Betriebe verstanden. Das von ihm in einem Forschungsprojekt entwickelte Konzept von „Wirtschaftsförderung 4.0″ beziehe aber auch innovative Praktiken und Geschäftsmodelle jenseits des Mainstreams mit ein. Kommunen könnten Projekte wie Urban Gardening, Solidarische Landwirtschaft, Gemeinschaftswohnen, Co-Working-Spaces und Sharing-Modelle fördern. Was Uber und AirBnB mit großem Gewinn anbieten, könne auch über gemeinwohlorientierte kommunale Plattformen ermöglicht werden: das gemeinsame Nutzen und Tauschen von Gütern. Zudem müssten Sozialunternehmen sowie die vielen unbezahlten Leistungen in den Blick genommen werden.

„Wirtschaftsförderung 4.0“ setzt auf regionale Wertschöpfung und kooperative Wirtschaftsformen. Das stärkt die lokale Wirtschaftsstruktur in Kommunen. Flankierende Ziele sind Klimaschutz und ein sparsamer Umgang mit Ressourcen. Kommunen sollten innovative Ansätze unterstützen. Es gehe darum, Angebote zu professionalisieren statt diese zu kommerzialisieren. Als Beispiel nannte Kopatz Car-Sharing, das nur funktioniere, wenn es professionell gemacht wird. Notwendig seien auch Bündnisse für regionale Beschaffung und eine andere Bodenpolitik. Der Experte plädierte für „Flächenzertifikate“, die die Vergabe von Flächen für Gewerbegebiete und Wohnungen begrenzen und Kommunen dazu anhalten, den bestehenden Bestand zu verdichten. Und nicht jede Betriebsansiedlung mache Sinn. Wer Logistikzentren für den Online-Handel zulässt, zerstört den regionalen Handel, meint Kopatz. Es gehe um „Citizens Value statt Shareholder Value“.

Hinsichtlich einer anderen Verkehrspolitik liegen die Vorschläge lange am Tisch: Tempolimits, Ausweitung von Parkgebührenzonen, Umwidmung von Autoparkplätzen auf solche für Radfahrende oder für Grünflächen, Busspuren zumindest vor Ampelkreuzungen sowie günstige Flächenticktes für den Öffentlichen Verkehr. Kopatz geht aber noch einen Schritt weiter und plädiert auch für ein Moratorium des Ausbaus der Autoinfrastrukturen – und auch jener für den Flugverkehr.

Stadträtin Martina Berthold, die in der Stadt für Hoch- und Tiefbau, Smart City sowie Radwege verantwortlich ist, betonte, dass Salzburg in punkto Radwege bereits einiges vorzuweisen habe. Die weitere Zunahme des Radverkehrs erfordere aber den weiteren Ausbau der Radinfrastruktur, was in der Radverkehrsstrategie 2025+ von Smart City Salzburg festgelegt ist. Salzburg brauche auch ein Radverleihsystem sowie die Förderung von Carsharing, nachdem jenes durch den regionalen Energieversorger eingestellt wurde. Was ist in der Stadt Salzburg weiters geplant? Berthold berichtete vom neuen Masterplan Gehen und von Projekten der Stadtbegrünung, um dem zunehmenden Hitzestress in den heißer werdenden Sommern entgegenzuwirken. Mehr Bäume in den Straßen, in öffentlichen Parks und privaten Gärten, grüne Fassaden und Dächer, daran arbeitet sie sehr intensiv mit Vizebürgermeisterin Barbara Unterkofler. Kopatz bestärkte die Stadträtin in ihrer Forderung, vom Ausbau der Mönchsberggarage doch noch abzusehen. Mehr Autoinfrastruktur ziehe eben mehr Autos an, denn neue Straßen führen zur Beschleunigung, man kommt schneller von A nach B. Und das führe zu mehr Verkehr, weil Menschen die gesparte Zeit in verlängerte Distanzen stecken. Wir seien heute so lange unterwegs wie zur Zeit der Postkutsche, nämlich ca. 80 Minuten pro Tag. In Deutschland habe die gewachsene Straßeninfrastruktur nicht zur Verkürzung der Stauzeiten beigetragen, das Gegenteil sei eingetreten, wie der Experte an einer Staugrafik für Deutschland zeigte. Mehr Straßen schafften insbesondere für den Onlinehandel Wachstumspotenzial.

Kopatz plädierte für mehr Mut durch eine ambitionierte Kommunalpolitik. Auch wenn es anfangs schwierig sein könne, Veränderungen anzustoßen, würden diese nach ihrer Einführung meist gut angenommen. Ein Bespiel seien Fußgänger- und Radfahrerzonen, die den lokalen Geschäften nicht Umsatz wegnehmen, sondern bringen, da sich die Frequenz der Passant:innen erhöhe, wenn der öffentliche Raum durch den Rückbau von Autoinfrastrukturen größer und attraktiver wird. Ein nachhaltiges Leben ohne Limits sei nicht mehr denkbar, so Kopatz auch in Bezug auf andere Bereiche wie Ernährung, Bauen und Güterkonsum. Seine Ansage: „Ohne Limits ist es unmöglich, diesen Planeten mit demnächst zehn Milliarden Menschen auskömmlich zu bewirtschaften. Wenn wir zu dieser Einsicht nicht bereit sind, gehen die Demokratien zugrunde“, schreibt er in seinem Buch „Schluss mit der Ökomoral“.

Und im Kontext der Verkehrspolitik müsse man Flagge zeigen. Absurd findet der Nachhaltigkeitsforscher das Argument, man müsse Verkehrspolitik „ideologiefrei“ diskutieren: „Über 40 Jahre haben Politik und Verwaltung das Leitbild der autogerechten Stadt verfolgt. Viele Planer tun es noch bis heute. Ist diese über Jahrzehnte währende und bis heute allgegenwärtige Straßenbaupolitik ideologiefrei?“, schreibt er in „Schluss mit der Ökomoral“. Nicht weniger irritierend sei die Forderung der Autolobby, Auto, Rad und Bus müssten gleichberechtigt sein: „Ist es denn gerecht, dass rund 80 Prozent der Verkehrsfläche ausschließlich von Autos genutzt wird?“ erwidert Kopatz. Und sei es hinnehmbar, dass täglich mindestens ein Radfahrender im Straßenverkehr getötet wird? Doch so paradox es zunächst klingen mag, bedeute mehr Platz für Radfahrende auch mehr Platz für das Auto, weil eben bedeutend weniger davon unterwegs wären, so Kopatz weiter. Das Radfahrerland Niederlande bestätige dies seit vielen Jahren.

Das Resümee der Online-Veranstaltung mit über 70 Teilnehmenden: eine mutige Kommunalpolitik muss Positiv-Bilder von einer lebenswerten Stadt vermitteln – mit bedeutend weniger Autos, mehr Flächen für Fußgänger:innen und Radfahrende sowie einer blühenden innovativen Szene von lokalen und regionalen Unternehmen und gemeinwohlorientierten Initiativen.

Moderation und Bericht: Hans Holzinger. Technische Begleitung und Erstellung des Videos: Carmen Bayer