Er befürchte einen „großen Krieg“, so der UN-Korrespondent Andreas Zumach vor ein paar Wochen in der deutschen taz. In seinem Vortrag am 21. Februar auf Einladung des Friedensbüros Salzburg, der PLAGE und der JBZ plädierte er für eine Deeskalation durch ein 10-jähriges Moratorium, also einen Verzicht der Ukraine auf einen NATO-Beitritt und der Rückzug der russischen Truppen. Zumach plädierte für weitere Autonomieverhandlungen zu den Konfliktregionen sowie für die Gewinnung Russlands für eine Energiewendepartnerschaft. Nun wurde seine erste Befürchtung Wirklichkeit. Der Vortrag kann hier nachgehört werden.

Wie kann man helfen? In der aktuellen Situation helfen vor allem Geldspenden, mit denen Hilfsorganisationen das kaufen können, was vor Ort  gebraucht wird, betonen erfahrene Krisenhelfer*innen. Auf eigene Faust an die Grenze zu fahren und Hilfsmittel dorthin zu bringen, verstopfe oft die Straßen und das gesamte System. Auf der Website der Plattform für Menschenrechte gibt es eine Liste mit Kontakten für Unterstützung, Rechtsinformation und Netzwerken von Helfer*innen. SOS Mitmensch hat ebenfalls eine Webseite mit Informationen zusammengestellt, wie wir Ukrainer*innen in Not helfen können. Wenn Sie HIER klicken, finden Sie Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten: Von Geld- über Sachspenden bis hin zur Bereitstellung von Übernachtungsmöglichkeiten. Die Infos werden laufend aktualisiert.

Hier noch eine Zusammenfassung weiterer Stimmen

„Wir müssen gemeinsam alles tun, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Wir müssen gemeinsam alles tun, um Menschenleben zu schützen“, so Bundespräsident Alexander van der Bellen in einer Erklärung am Tag der Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Später folgte sein Appell „Hört auf mit dem Töten“ (ORF 3.3.2022) „Wir stehen auf der Seite all derjenigen, die weltweit ihre Stimme gegen den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine erheben und einen bedingungslosen Rückzug der Truppen der russischen Föderation fordern. Ganz besonders gehört unsere Solidarität den unmittelbar betroffenen Menschen aus der Ukraine, die ihren Protest und ihre Trauer öffentlich machen – wie auch den Menschen in Russland, die sich unter großem persönlichem Risiko gegen diesen Krieg wenden.“ So heißt es in einer Stellungnahme des Friedensbüros Salzburg.

Die Frage bleibt, was zu tun ist. Die Diplomatie hat versagt, so der ehemalige Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl im Gespräch mit SN-Chefredakteur Manfred Perterer. Umso mehr müsse eine neue europäische Sicherheitsarchitektur gefunden werden, in er sich alle Beteiligten wiederfinden.  Eine wertvolle Analyse mit dem österreichischen Sicherheitsexperten Heinz Gärtner, der die verpasste Neutralitätsoption für die Ukraine kritisiert, findet sich in einem ORF-Interview. Ähnlich argumentierte der Innsbrucker Politikwissenschaftler Gerhard Mangott in einem Runden Tisch des ORF.

Der Historiker Christoph Müller der Universität Wien gibt dem Momentum-Institut eine Einschätzung von Putins innen- und außenpolitischen Kalküls. Der Leiter der Diplomatischen Akademie Wien Emil Brix erklärt Putins ideologische Aufladung und die Wirkung des neuen russischen Nationalismus. Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin geht davon aus, dass eine Neutralisierung der Ukraine derzeit keine Option mehr sei, die russische Bevölkerung zwar patriotisch sei, jedoch ein Russland mit Wohlstand vorziehen würde.

Die aus der Ukraine stammende Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Tanja Maljartschuk verweist auf historische Bezüge. Sie sehe keinen Dritten Weltkrieg heraufdräuen, sondern „das verspätete Ende des Zweiten“. Das Ende der Ukraine bedeute „das Ende Europas, wie wir es kennen.“ (Salzburger Nachrichten, 25.2.2022) Der Friedensforscher Werner Wintersteiner argumentiert in einem Gastkommentar der Wiener Zeitung ähnlich, wenn er auf die fehlende Rezeption historischer Aspekte verweist, die in den Reden eine zentrale Rolle spielen. Der Schriftsteller Karl Markus Gauß kritisiert in einem Standard-Interview die undifferenzierten Zuschreibungen wie der „Osten und der „Westen“ sowie beispielweise die linke Überzeichnung angeblich faschistoider Strömungen in der Ukraine: „Es ist ein auf hochmütiger Unkenntnis oder schlichter Propaganda beruhendes Vorurteil, die Ukraine für einen halbfaschistischen Staat zu halten. Nirgends in Europa gibt es so viele jüdische Abgeordnete im Parlament wie dort, auch so viele Abgeordnete nationaler Minderheiten, und Selenskyj selbst ist nicht der erste Präsident jüdischer Herkunft.“

So stark zivilgesellschaftliche Bewegungen derzeit in Russland unterdrückt werden – es gibt sie. Trotz hohem persönlichem Risiko veröffentlichten einige hunderte russische Wissenschaftler:innen und Wissenschaftsjournalist:innen eine Erklärung zum Krieg gegen die Ukraine. „Auch wenn es in der Erregung des Augenblicks illusorisch erscheinen mag, ist jetzt der Zeitpunkt, sich über die Schritte zu einer neuen Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa Gedanken zu machen. Auch wenn gegenüber Russland jetzt eine harte Haltung notwendig ist, bleibt der Satz richtig: Wenn Du Frieden willst, musst Du den Frieden auch vorbereiten“, so Autor:innen der Hessischen Stiftung für Frieden und KonfliktlösungAn anderer Stelle in einem Beitrag „Frieden am Ende?„: „Die große Herausforderung für die Zukunft der internationalen Beziehungen ist der Aufbau neuer Kooperationsstrukturen – in Europa und in der Welt.“ Fehler der Vergangenheit müssten nun reflektiert werden.

Die Regierungen der EU und der NATO verhängen nicht nur Sanktionen, sondern reagieren nun auch mit Waffenlieferungen an die Ukraine. Ob dies den Preis für Putin erhöht und ihn zum Stoppen des Krieges bewegt, bleibt offen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat den russischen Angriff auf die Ukraine als weitgehende Zäsur bezeichnet. „Wir erleben eine Zeitenwende“, das bedeute: „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“ Im Kern gehe es um die Frage, ob Macht das Recht brechen dürfe und ob es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gestattet werden könne, die Uhren in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts zurückzudrehen. „Oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“, betonte Scholz (zit. n. Salzburger Nachrichten 27.2.2022).

„Es gibt größten Grund für politische Anstrengungen, die Diplomatie am Leben zu erhalten, zum Leben zu bringen“, so der deutsche Vizekanzler Robert Habeck am 27.2.2022 gegenüber dem ZDF angesichts der Drohung Putins mit Atomwaffen.

Friedensforscher Werner Wintersteiner selbstkritisch: „Die westliche Friedensbewegung hat vor der verhängnisvollen Kriegslogik der Ukraine-Krise gewarnt und darauf hingewiesen, dass auch der Westen an der Eskalation seinen Anteil hat. Sie hat sich aber wohl zu sehr auf die Fehler der eigenen Seite konzentriert, vor allem auf die massive Ausweitung der Nato nach 1989, mit der ein De-facto-Versprechen an die sich auflösende Sowjetunion gebrochen wurde und die Russland als Bedrohung empfinden musste. Ohne es klar auszusprechen, dachte sie, wenn diese Politik korrigiert werde, würde Russland zufriedengestellt sein, und die Spannungen würden nachlassen. Auf dieser Argumentationslinie beruhte auch die gut begründbare Forderung nach Neutralität der Ukraine, die allerdings von der westlichen Politik niemals aufgegriffen wurde. Offenbar war auch diese unsere Überlegung nur teilweise richtig. Jetzt müssen wir feststellen: Dann hätte Putin zwar einen wesentlichen Vorwand für seine Invasion weniger gehabt, aber es ist keineswegs sicher, dass die Invasion nicht mit anderen Argumenten gerechtfertigt worden wäre.“

In einem ebenso lesenswerten Beitrag im SPD Blog der Universität Graz fordert Wintersteiner eine Abkehr von der Gewaltlogik. Seiner These „Russland kann diesen Krieg nicht mehr gewinnen, die Ukraine kann diesen Krieg nicht mehr verlieren. Schon allein deswegen wäre es an der Zeit, ihn so schnell wie möglich zu beenden. Wir müssen über sehr konkrete Deeskalationsschritte nachdenken.“ Wintersteiner weiter: „Statt westlicher Waffen bräuchte es daher eine westliche Friedensinitiative. Diese sollte am besten von den neutralen Staaten Österreich, Finnland, Schweden und Irland ausgehen. Sie muss beiden Seiten eine Perspektive bieten, in sicherheitspolitischer, ökonomischer und „moralischer“ Hinsicht.“

Der Redakteur dieser Zusammenstellung schreibt in einem Gastkommentar der Wiener Zeitung, in dem die Blockfreiheit der Ukraine ins Spiel gebracht wird: „Krieg ist immer ein Verbrechen. Und es ist schwierig, angesichts des Mordens und der Zerstörungen den richtigen Ton zu finden – und Wege, die aus der Eskalation herausführen. Wenn das Ziel ist, den Krieg und das Blutvergießen zu beenden, dann zählt nicht die Frage, was Recht und Unrecht ist, sondern was die Chancen erhöht, dieses Ziel zu erreichen. Das unterscheidet Verantwortungsethik von Gesinnungsethik. Ob eine Neutralisierung der Ukraine Putins Krieg noch stoppen kann, ist zumindest kurzfristig zweifelhaft. Aber es wäre ein Verhandlungsangebot. So schwer jedes Zugeständnis an den Aggressor auch fällt.“

Der Dokumentarfilmer Werner Stanzl hat den Mut in der Wiener Zeitung, den Verteidigungskrieg der ukrainischen Regierung in Zweifel zu ziehen: „Nicht hinterfragt wird die Frage, mit welchem Recht Selenskyj und sein Team alle 18- bis 60-Jährigen in eine Art Volkssturm zwängen. Sollte nicht die europäische Errungenschaft, die Bedenkenträger vom Dienst mit der Waffe befreit, auch und gerade für die Ukraine gelten, die sich unserem Europa anschließen will?“ In einem Zitat von Marcus Tullius Cicero als Konsul 63 v. Chr.: „Der ungerechteste Frieden ist immer noch besser als der gerechteste Krieg“.

„Neutralität heißt nicht: nichts tun. Wie aktive Neutralitäts- und Friedenspolitik aussehen kann.“ Dazu war der Friedensforscher und Mitarbeite des Versöhnungsbundes Thomas Roithner zu Gast bei Barbara Zeithammer in der Sendung Punkt eins von Ö1 am 4.3.2022. Roithner plädiert dafür, Österreichs Neutralität wieder stärker für internationale Vermttlung zu nutzen. Zudem plädiert er für einen zivilen Friedensdienst ähnlich jenem in Deuschland.

Auch andere Krisen spitzen sich zu. Ende Februar wurde ein neuer Bericht des IPCC Weltklimarates veröffentlicht, der die Risiken der Klimaerwärmung sowie nötige Anpassungsmaßnahmen zeigt. Die Folgen der Klimaerwärmung treten schneller auf und sind umfassender und gravierender als noch vor 20 Jahren angenommen wurde. Der Zeitraum, um das Ruder noch herumzureißen, ist laut Weltklimarat begrenzt. Es braucht jetzt einen massiven Rückgang des Treibhausgasausstoßes, aber auch Anpassungen, um die Gefahren noch so weit wie möglich abzuwenden. Die Dekarbonisierung, sollte sie denn gelingen, bedeutet auch geopolitische Verschiebungen. Russland ist zur Zeit völlig vom Export fossiler Rohstoffe abhängig. Dieser ist derzeit nicht von den Sanktionen betroffen, da Europa auf das russische gas angewiesen ist.

Zusammenstellung: Hans Holzinger