„Building Bridges“ lautete das Motto des Eurovision Song Contest, der zweifellos symbolische Brücken zu schlagen vermochte. Die Welt der Popsongs soll uns aber nicht vergessen lassen, dass Europa noch immer ein Kontinent der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist. Wenn man die Vielfalt der mitwirkenden Länder in Erinnerung ruft, wird klar, dass diese unterschiedlicher nicht sein könnte. Und vermutlich mehr noch als das Zusammenwachsen über Musik braucht es das wirtschaftliche Zusammenwachsen . Da ist der reiche Teil Europas gefordert.
Symbolische Brücken helfen auch den im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen nichts – sie brauchen reale Brücken. Die Humanität Europas beweist sich nicht in seinen Kulturhauptstädten oder in einem Song Contest, sondern an Orten wie Lampedusa und der Bereitschaft, etwas von seinem Wohlstand abzugeben. Politik und öffentliche Stimmung weisen freilich derzeit in eine andere Richtung. Das Feilschen um Flüchtlingsquoten und die Aussperrung von Notreisenden wird den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien nicht bremsen, sondern bekräftigt diese in ihrer Haltung.
Gefordert ist gelebte Humanität – da gibt es durchaus Vorbilder, auf die auch in unserer Gesellschaft verwiesen werden kann. Gefordert ist aber auch ein klares politisches Konzept, das der Ideologie der Angst konkrete Schritte der wirtschaftlichen Kooperation mit den ökonomisch schwächeren Ländern entgegensetzt. Die Allgemeinen Menschenrechte bleiben die Richtschnur, an der unsere Taten zu messen sind, auch wenn wir weit von ihrer Umsetzung entfernt sind. Dasselbe gilt für die Utopie eines Europa bzw. einer Welt, in der niemand mehr fliehen oder betteln muss. Nicht hinzunehmen, dass die Welt in Milliardäre und Hungernde geteilt ist, bleibt das politische Ziel. Das schließt humanitäres Engagement mit ein und weist darüber hinaus.
Ein bettelnder Mensch widerspricht unserem Leistungsethos und Verständnis von Menschenwürde. Das ist nachvollziehbar, auch wenn der Reichtum des Reichen am anderen Ende der Gesellschaftsskala kaum Widerspruch erfährt, wiewohl dieser, wie Studien belegen, meist nicht selbst „erarbeitet“ wurde. Bettelnde Menschen machen uns unmittelbarer als die Hungertoten in den Fernsehnachrichten darauf aufmerksam, dass die Welt ungerecht ist. Bettelverbote sind der Versuch, dieses Wissen zu verdrängen und von der politischen Aufgabe einer globalen Umverteilung abzulenken. Das tut uns nicht gut.
JBZ-Pressekommentar Hans Holzinger 27. 5. 2015