Ernst Fürlinger ist Religionswissenschaftler an der Donauuniversität Krems. Er war Referent bei der Tagung ZUKUNFT:INTERNATIONAL. Hier sein Beitrag.

Als „Zeitalter der Extreme“ hat der Historiker Eric Hobsbawm das 20. Jahrhundert benannt.[1] Unsere Gegenwart ist durch eine Reihe von extremen Entwicklungen geprägt, u.a.:

  • Klimawandel, verbunden mit „extremen Wetterextremen“;[2]
  • historisch hohe Zahlen an Menschen, die weltweit auf der Flucht sind und ihren angestammten Boden verlassen;
  • religiöser Extremismus;
  • der extreme Anstieg sozialer Ungleichheit;[3]
  • Renationalisierung, der Rückzug hinter nationale Mauern, mit dem Brexit und der Wahl Trumps als wichtigste Symbole.

Ich folge grundsätzlich der These des Philosophen Bruno Latour in seinem „Terrestrischen Manifest“,[4] dass diese Phänomene Teil ein und derselben historischen Konstellation sind, die er als „Neues Klimaregime“ bezeichnet.[5] Wir können diese Konstellation nicht verstehen, wenn wir die Klimafrage – die beispiellose Störung des gesamten Klimasystems – nicht ins Zentrum stellen. Ausgehend von Latour stelle ich Überlegungen an, wie einzelne Phänomene mit dem Klimawandel zusammenhängen könnten.

  • Wetterextreme im Zusammenhang mit dem Klimawandel: Der Sommer 2018 ist ein Beispiel für eine Häufung extremer Wetterereignisse wie Temperaturrekorden (u.a. in Skandinavien, Kalifornien), Dürren, Hitzewellen, Starkniederschläge mit massiven Folgen (u.a. in Japan, Südostasien, Kenia). Folgen der Hitzewelle waren Waldbrände in verschiedenen Ländern (u.a. Griechenland, Kalifornien). Laut der Weltorganisation für Meteorologie stimmen diese extremen Wetterereignisse zusammen mit dem, was wir durch den Klimawandel erwarten.[6] Klimawandel markiert eine der „planetaren Grenzen“, die wir erreicht haben, neben Ozeanversauerung, Verlust der Artenvielfalt, chemische Umweltverschmutzung u.a.[7] Was machen die Katastrophen-Bilder, die ständig auf uns einströmen, mit uns? Was lösen sie aus?
  • Renationalisierung und Klimaleugnung, v.a. symbolisiert durch die Wahl von Trump. Trump war bereits vor der Wahl jahrelang bekannt als Leugner des Klimawandels. Sein Regierungsteam ist durchsetzt von zahlreichen Personen, die von der Ölindustrie, va. Koch Industries, dem zweitgrößten Ölunternehmen in den USA, finanziert werden: v.a. Scott Pruitt, der ehem. Direktor der Umweltschutzbehörde, und Vizepräsident Mike Pence, die jahrelang von den Brüdern Koch finanziert wurden, oder Rex Tillerson, der ehem. Außenminister, der als CEO von Exxon Mobile direkt ins Weiße Haus wechselte. Die Think-Tanks der Koch Industries wie „Americans for Prosperity“ mit 3,2 Mill. Mitgliedern oder das Mercator Institute arbeiteten jahrelang am Ausstieg der USA aus internationalen Klimaabkommen, v.a. dem UN-Klimavertrag, den Trump am 1.Juni 2017 in Anwesenheit der Spitzen dieser Think-Tanks bekanntgab.[8] Durch die Aktivitäten von Milliardären, die wie eine Partei agieren, kommt es zu einer Dysfunktion der Demokratie in den USA.[9] Politisch rechter Extremismus verbindet sich hier mit einer radikalen Form des Lobbyismus von privaten Konzernen, die versuchen, ihr Geschäft mit dem Erdöl so lange wie möglich zeitlich auszudehnen und Klimaleugnung systematisch zu verbreiten. Im Fall von Trump verbindet sich rechte Politik mit den Evangelikalen, die erheblichen Einfluss auf die Trump-Administration haben.
  • Religiöser Extremismus,a. in Form des IS: Der IS stellt sich, im Unterschied zur al-Qaida, in seiner Propaganda als apokalyptisch orientierte Bewegung dar, die auf einen Endkampf hinzielt, um den Anbruch des messianischen Reichs und das Ende der bisherigen Welt herbeizuführen.[10] Teil der Propaganda des IS ist ein Endkampf mit den „Armeen Roms“, der in Dabiq, in Nordsyrien, stattfinden würde. Meiner Ansicht nach verbindet sich beim IS das traditionelle apokalyptische Denken, das im Islam vorhanden ist, mit Motiven und Impulsen aus dem zeitgenössischen apokalyptischen Denken, wie es sich in der westlichen Unterhaltungsindustrie, in Filmen, Videospielen usw. zeigt, um damit effektvoll zu rekrutieren, v.a unter jungen Menschen. Meine Hypothese ist: Es handelt sich einerseits um Propaganda, vielleicht übersetzt der IS aber auch eine verbreitete Weltuntergangsstimmung, vor allem wegen der globalen Klimakrise, in die Sprache des Djihadismus.

Massive Flucht- und Migrationsbewegungen weltweit, Klimawandel, islamistischer Terrorismus usw.: All das löst Schwindel, Schock, Panik und Ängste aus und aktiviert bei vielen Menschen frühe Traumata.[11] Parteien nutzen Phänomene wie Fluchtbewegungen und Terrorismus zur politischen Mobilisierung, während die zentrale Bedrohung des Klimawandels bewusst im Hintergrund gehalten wird. Der Ausfall der USA als rationale globale Ordnungsmacht vergrößert auf erhebliche Weise das Fehlen einer sachlich orientierten „Weltinnenpolitik“ (C.F. v. Weizsäcker) auf dramatische Weise. Die „globale Unruhe“ verstärkt Paranoia, Nationalismus und konservative wie autoritäre Bewegungen,[12] indem Bürger Sicherheit durch nationale Identität und Abschottung suchen, während gleichzeitig Phänomene wie der Klimawandel, Umweltzerstörung, Flucht, Migration und der Djihadismus global sind, nicht vor nationalen Grenzen Halt machen und eine transnationale Zusammenarbeit und Solidarität erfordern. Ohne den Klimawandel zu berücksichtigen, kann man laut Latour „das panische Verlangen nach einer Rückkehr zu den früheren Schutzmaßnahmen des Nationalstaats“[13] nicht verstehen. Er nennt dieses Verlangen die Flucht in das „Minus-LOKALE.“ Die Leugnung des Klimawandels geht damit einher, dass man die Gegenwart nicht verstehen kann.

Gegenbewegungen im Bereich der Religionen

Durch die terroristische Gewalt des IS ist bei vielen Menschen Religion an sich in Misskredit geraten. Sie betrachten Religionen als Quelle der Spaltung, von Konfrontationen und Konflikten. Es gibt aber im Mainstream der Religionsgemeinschaften eine ganz andere Bewegung, hin zu einer Kooperation und Verständigung über Religionsgrenzen hinweg. Das zeigt sich gerade beim globalen Kampf um Klimagerechtigkeit und Klimaschutz, bei dem die Religionen eine aktive und teilweise führende Rolle eingenommen haben – man denke etwa an die Enzyklika „Laudato Si“ von 2015 von Papst Franziskus. Möglicherweise hat das Engagement der Weltreligionen zusammen mit anderen Teilen der Weltzivilgesellschaft zum historischen Abschluss des UN-Weltklimavertrags in Paris im Dezember 2015 nicht unwesentlich beigetragen und ein neuerliches Scheitern verhindert. Alle Religionsgemeinschaften haben Stellungnahmen zur Herausforderung des Klimawandels abgegeben.[14] Eine wichtige Initiative bildete die „Interfaith Declaration on Climate Change“ von 2009. In mehreren Religionsgemeinschaften wurden in jüngster Zeit globale Koalitionen für Klimaschutz und für den Kampf für Klimagerechtigkeit ins Leben gerufen.[15] Es gibt mehrere global agierende interreligiöse Bewegungen zugunsten Klimagerechtigkeit und Klimaschutz, u.a. im Bereich der kath. Kirche, Islam und Buddhismus. Wichtige Beispiele sind die internationale interreligiöse Initiative zum Schutz der Regenwälder, die im Juni 2017 in Oslo gegründet wurde,[16] sowie die interreligiöse Initiative „Living the Change“, die sich auf die Frage eines nachhaltigen Lebensstils konzentriert.[17] Auch in zentralen, global agierenden Klimaschutzinitiativen – wie „350.org“ von Bill McKibben – sind Menschen aus verschiedenen Religionen engagiert.

Ich sehe diese Aktivitäten als hoffnungsgebende Gegenbewegung zu Nationalismus: Teil einer weltweiten Bewegung hin zu einer neuen Auffassung des „Wir“, das nicht auf die vorgestellte nationale Gemeinschaft beschränkt bleibt, sondern auch eine transnationale Solidarität und Zusammengehörigkeit einschließt. Ein planetares Wir: Wir alle, Menschen, Tiere, Pflanzen, die gemeinsam überleben wollen, unter bewohnbaren Verhältnissen in Zukunft leben wollen. Wir alle, die diesen Planeten – ob wir wollen oder nicht, ob wir es anerkennen oder nicht – teilen. Es könnte sein, dass die globale Klimaschutzbewegung, einschließlich ihres starken religiösen Flügels, zur Avantgarde dieser kosmopolitischen Vision wird. Die Religionen sind die Vertreter des Realitätsprinzips, dass wir eine gemeinsame Welt teilen, aus der wir – anders als z.B. die Trump-Administration glaubt – nicht fliehen können.

 

Hoffen = Handeln = Hoffen

Hobsbawn beendete sein Werk „Das Zeitalter der Extreme“ wie folgt: „Eine Sache ist klar: Wenn die Menschheit eine erkennbare Zukunft hat, kann es nicht die Verlängerung der Vergangenheit und der Gegenwart sein. Wenn wir versuchen, das 3. Jahrtausend auf dieser Basis zu bauen, werden wir scheitern. Und der Preis des Scheiterns, d.h. die Alternative zu einer veränderten Gesellschaft, ist Dunkelheit.“ Die Veränderung der Gesellschaft braucht v.a. eines: Hoffnung, das andere Wege machbar sind.[18] Hoffnung ist die Alternative zu Ohnmacht, Zynismus und Resignation, dass das Ende der Welt ohnehin bevorsteht. Hoffen ist nicht einfach ein unverbindliches, gefühlseliges „positives Denken“, vielmehr eine aktive, widerständige Kraft – das Setzen von konkreten Hoffnungszeichen, die Antizipation einer veränderten, zukunftsfähigen Gesellschaft. Im Zusammenhang z.B. mit der notwendigen Großen Transformation in Richtung Nachhaltigkeit sind das konkrete kollektive und individuelle Schritte. Drei Dimensionen:

  • Strukturelle Maßnahmen: Verbesserung der Technik, z.B. in Richtung Energieeffizienz, und ordnungspolitische Maßnahmen, v.a. Co2-Bepreisung[19]
  • Individuelle Maßnahmen: Änderung des Lebensstils jenseits der „Zuvielisation“ (Raimon Panikkar) in Richtung eines neuen Wohlstandsmodells auf Basis von Genügsamkeit und [20] So wie es das interreligiöse Statement „Walk on the Earth Gently“ von 2017 ausdrückt: Wir laden ein, „eine Reise in Richtung einer mitfühlenden Einfachheit (compassionate simplicity) anzutreten für das Wohl des Klimas, der Menschheitsfamilie und der Gemeinschaft des Lebens.”[21]
  • Politische Maßnahmen: Aktives Hoffen bedeutet heute gleichzeitig politischer Protest, u.a.:
  • Deinvestment-Bewegung, die sich für einen Ausstieg aus dem Investment in die Öl-, Kohle- und Gas-Industrie einsetzt, z.B. Protest gegen Investment der eigenen Banken;
  • Protest gegen Öl- und Kohleförderung, v.a. von unkonventionellen, besonders klimaschädlichen Methoden wie Fracking und Ölsand;
  • lokaler Anschluss an bereits bestehende globale Bewegungen wie z.B. 350.org.

Ich glaube, die Klimaschutzbewegung ist die neue Friedensbewegung. Es braucht einen öffentlichen Druck und Aufruhr gegen eine Politik des Zauderns[22] und Zögerns und für eine große Wende. Ein Vorbild für das aktive, engagierte Hoffen im Sinn eines Widerstands gegen das Einfach-weiter-so, gegen mächtige industrielle Interessen, gegen den überhitzten Turbo-Konsumkapitalismus und gegen den Zynismus der Resignation ist Robert Jungk (1913-1994), der sich ab den 1950er Jahren unermüdlich gegen die atomare Aufrüstung, die Atomindustrie und gegen den „Atomstaat“ (1977) einsetzte. Die Festschrift zu seinem 70. Geburtstag hat den Titel „Triebkraft Hoffnung“, sein letztes Buch vor den Memoiren hieß „Projekt Ermutigung. Streitschrift wider die Resignation“.

[1] Eric Hobsbawn: The Age of Extremes: The history of the world 1914-1991. London: Vintage, 1996.

[2] Vgl. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: „Klimawandel. Immer mehr Rekord-Regenfälle“, 8.7.2015. Weblink: https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/klimawandel-immer-mehr-rekord-regenfaelle?set_language=de ; „Monatliche Hitzerekorde haben sich durch die Erderwärmung verfünffacht“, 14.1.2013. Weblink: https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/archiv/2013/monatliche-hitzerekorde-haben-sich-durch-die-erderwaermung-verfuenffacht?set_language=de

[3] Thomas Pickety: Das Kapital im 21. Jahrhundert. München 2016.

[4] Bruno Latour: Das Terrestrische Manifest. Berlin. Suhrkamp, 2018.

[5] Bruno Latour: Kampf um Gaia. Acht Vorträge über das Neue Klimaregime. Berlin: Suhrkamp, 2017.

[6] World Meteorological Organization: „July sees extreme weather with high impacts”, 1. August 2018. Weblink: https://public.wmo.int/en/media/news/july-sees-extreme-weather-high-impacts

[7] Will Steffen/ Johan Rockström et al. “Planetary Boundaries: Guiding human development on a changing planet”: Science, 347 (2015).

[8] Vgl. Kerstin Kohlenberg: “Geld stinkt nicht, es regiert“: Die Zeit, 7. Juni 2017; Michael Mann/ Tom Toles: The Madhouse Effect: How climate change denial is threatening our planet, destroying our politics, and driving us crazy. Columbia University Press, 2018.

[9] Jane Mayer: Dark Money: The Hidden History of the Billionaires Behind the Rise of the Radical Right. New York: Doubleday, 2016.

[10] Vgl. Graeme Wood: “What ISIS Really Wants”: The Atlantic, March 2015; William McCants: The IS Apocalypse: The history, strategy and Doomsday Vision of the Islamic State, St. Martin’s Press 2015; Bernard Haykel: “The History and Ideology of the Islamic State” (Statement for the US Senate, January 20, 2016), Weblink: https://www.hsgac.senate.gov/imo/media/doc/Testimony-Haykel-2016-01-20.pdf

[11] Vgl. Marianne Leuzinger-Bohleber: Das „erschöpfte Selbst“ in Zeiten des „Global Unrest“. Klinisch-psychoanalytische Überlegungen, in: Thomas Fuchs et al. (Hg.), Das überforderte Subjekt. Zeitdiagnosen einer beschleunigten Gesellschaft. Berlin: Suhrkamp, 2018, 310-343.

[12] Vgl. Salman Akhtar: Mind, Culture and Global Unrest: Psychoanalytic Reflection. London: Karnac, 2018, 9 (Hinweis: Leuzinger-Bohleber, Das “erschöpfte Selbst”, 312).

[13] Latour: Terrestrische Manifest, 10.

[14] Übersicht: The Forum on Religion and Ecology at Yale, Climate Change Statements from World Religions. Weblink: http://fore.yale.edu/climate-change/statements-from-world-religions/

[15] U.a. Global Catholic Climate Movement, Global Muslim Climate Network, Global Buddhist Climate Change Collective.

[16]  https://www.oikoumene.org/en/press-centre/news/InterfaithRainforestInitiative_STATEMENT_June22.pdf

[17]  https://livingthechange.net/

[18] Gegen die Ansicht von Clive Hamilton, wir seien erst handlungsfähig, wenn wir „in unserem verzweifelt optimistischen Lebensrahmen die Hoffnung ausreißen“ (Clive Hamilton: Requiem for a Species: Why We Resist the Truth about Climate Change, New York: Earthscan, 2010).

[19] S. Report der High Level Commission on Carbon Prices vom 29. Mai 2017. Weblink: https://www.carbonpricingleadership.org/report-of-the-highlevel-commission-on-carbon-prices/

[20] Uwe Schneidewind: Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. Frankfurt: Fischer, 2018.

[21] „Walk on the Earth Gently“: A Multi-Faith invitation to sustainable lifestyles. COP23 Interfaith Climate Statement, 13-14 November 2017.

[22] In seinem Science-Fiction-Roman „2312” bezeichnet Robinson unsere Epoche als „Zeitalter des Zauderns“ und als „verschwendete Jahre“ (Kim Stanley Robinson: 2312. München: Heyne, 2013, 263).