In seinem Buch „Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern“ macht der Ökonom und Wirtschaftspublizist Wolfgang Kessler fünf konkrete Vorschläge für ein anderes Wirtschaften. Seine Überzeugung: Die Wirtschaft braucht eine neue Ethik und andere Rahmenbedingungen. Wolfgang Kessler war zwanzig Jahre Chefredakteur des Publik-Forum. Am 22. 7. 2019 hielt er einen spannenden Vortrag in der 50. Ausgabe von JBZ-Zukunftsbuch. Hier ein Bericht über die gut besuchte Veranstaltung in Kooperation mit der Leserinitiative Publik-Forum und Südwind Salzburg. Das Interesse war groß, der Saal bis auf den letzten Platz besetzt.
Wenn er Pressekonferenzen zur Wirtschaftspolitik besucht, herrsche Aufbruchstimmung, so Kessler: „Die Wirtschaft wächst. Die Bürger und Bürgerinnen konsumieren. Die Arbeitslosigkeit geht zurück.“ Alles palletti? Dem ist nicht so. Der Wirtschaftspublizist verwies zwar auf die Erfolge des Kapitalismus – Erfindergeist, mehr Konsum für mehr Menschen, materieller Wohlstand. Doch das System gerate immer mehr in die Krise: ein Viertel der Bevölkerung im reichen Deutschland werde vom Wohlstand abgehängt, ein Drittel der Arbeitsplätze seien mittlerweile als prekär einzustufen, die „digitalen Tagelöhner“ nähmen zu.
Kessler sprach von einer „ungeheuren Zuspitzung“ der Weltlage: mehr Menschen kämpfen um ihre Konsumchancen, der Zugriff auf die Naturressourcen steigt rapide an, der Klimawandel verschärft sich ebenso wie der Gegensatz zwischen Reichen und Armen. Mit der Angst vor dem Absturz wachse die Intoleranz, die Demokratie sei in Gefahr. Sie werde latent bedroht durch die „neuen Herren der Welt“, die der Ökonom insbesondere in den großen Investmentfirmen wie Black Rock sowie den neuen Datenkonzernen ausmachte.
Im zweiten Teil seines eloquenten Vortrags skizzierte Kessler die fünf im Buch vorgestellten Alternativen, die den Kapitalismus nicht abschaffen, aber verändern würden – im Sinne einer ökosozialen Marktwirtschaft.
Fünf Weichenstellungen für ein anderes Wirtschaften
Vorschlag eins bezog sich auf die „Befreiung vom Diktat der Rendite“. Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie Gesundheit, Betreuung älterer Menschen, Bildung sowie öffentliche Infrastrukturen müssten vor dem Zugriff von Investmentfirmen geschützt werden. Wenn überhaupt, müssten – wie in den Niederlanden – die maximalen Renditen in diesem Bereich gesetzlich begrenzt werden. Kessler plädierte auch für ein öffentliches Internet und andere Social Media, etwa „Rebook“ statt „Facebook“. Zudem sollten Unternehmen nach Genossenschaftsrecht gefördert werden.
Vorschlag zwei betrifft ein vereinheitlichtes Steuersystem, das alle Arten von Einkommen gleichermaßen berücksichtigt und jenen, die unter die Grundsicherungsschwelle fallen, ein bedingungsloses Grundeinkommen gewährt. Diese „soziale Revolution“ würde Geringverdienende aufwerten, den Ausstieg aus dem Hamsterrad des rasenden Kapitalismus ermöglichen; vor allem wäre diese Grundsicherung ein „Schritt gegen die wabernde Angst in Zeiten großer Umbrüche.“
Sozial ausgewogen ist auch der dritte Vorschlag Kesslers einer aufkommensneutralen Ökosteuer, die zu gleichen Teilen an alle Bürger und Unternehmen rückerstattet würde. Dies schaffe Anreize zu einem sparsamen Umgang mit Energie und Ressourcen. Als Beispiel nannte Kessler die 25 Prozent-Stromabgabe der Schweizer Stadt Basel, die von der Bevölkerung in einer Abstimmung mehrheitlich befürwortet wurde und den stark zur Reduzierung des Energieverbrauchs der Stadt beigetragen hat.
Die Vorschläge 4 und 5 beziehen sich auf mehr Fairness in der Welt. Kessler schlägt vor, den Freihandel auf faire und ökologische Produkte zu begrenzen. Am Beispiel Baumwolle: Nur biologisch erzeugte Baumwolle, für die die Plantagenarbeiter gerechte Löhne bekommen, würde zollfrei gehandelt, die übrige Baumwolle mit Strafzöllen belegt – was dem gegenwärtigen Freihandelsregime diametral entgegensteht. Zudem plädierte Kessler für neue Wege in der Entwicklungszusammenarbeit. Zumindest ein Teil der Entwicklungshilfemittel sollte direkt an die Armen vergeben werden, weil dadurch die lokale Wirtschaft gestärkt und dem Abzweigen von Ressourcen durch Protektionismus vorgebeugt würde. Ein nicht geringer Anteil von Entwicklungshilfegelder sei derzeit eine Subventionierung von Konzernen. Modelle gibt es auch dazu: In Kenia erhalten derzeit 20.000 Menschen für 10 Jahre ein Grundeinkommen über monatlich 20 Dollar. Und in den Flüchtlingscamps des UNHCR beziehen die Menschen eine digitale Währung, die via Handy ausbezahlt wird. Dies sei wirksamer, als die Flüchtlinge mit Sachmittel zu versorgen.
In der anregenden dem Vortrag folgenden Diskussion mit den über 60 Teilnehmenden ging es insbesondere um die Realisierungschancen der Vorschläge angesichts der Machtungleichheiten in der Wirtschaft, dem weitgehenden Versagen der Politik sowie eines auf den Eigennutz abzielenden Verhaltens der Menschen. Kessler bekräftigte, dass es seine Aufgabe als Ökonom nicht sei, Menschen zu verbessern, sondern ökonomische Anreize so zu setzen, dass diese sich gerne anders verhalten. Der Egoismus müsse in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Zudem müssten wir wieder Vorstellungen darüber entwickeln, wie die Welt besser werden könnte – oder anders formuliert, wie wir von der gegenwärtigen schwerfälligen „Tankerwirtschaft“ zu einer leichtfüßigen „Segelbootwirtschaft“ gelangen können.
Bericht/Fotos: Hans Holzinger