Gernot Jochum-Müller gilt in Vorarlberg als sozialer Innovator. Die von ihm gegründete Genossenschaft Allmenda hat nicht nur die landesweit gültige Zweitwährung „VTaler“ umgesetzt, sondern unterstützt auch Projekte wie Bürgerkraftwerke und war Heimat des inzwischen eigenständigen Caruso Carshing. Eines der Projekte ist „Zeitpolster“, das 2017 mit einem österreichischen Innovationspreis ausgezeichnet wurde. Dieses stellte Jochum-Müller am 7. Oktober 2019 in der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in der Reihe „Projekte des Wandels“ vor. Mit dem Erfolg, dass es nun auch in Salzburg eine Interessensgruppe dazu gibt.
„Man knüpft Kontakte, verbringt sinnvolle Zeit und sorgt für die eigene Zukunft vor.“ Damit brachte Gernot Jochum-Müller die Idee des Projektes „Zeitpolster“ auf den Punkt. Das Prinzip der etwas anderen Form der Altersvorsorge, das mittlerweile auch in Wien, Niederösterreich und der Steiermark umgesetzt wird, ist einfach: Menschen engagieren sich für Ältere, die Hilfe brauchen, und bekommen dafür Zeit gut geschrieben, die sie später, wenn sie selbst Unterstützung brauchen, einlösen können. Es handelt sich also um eine Art Zeitkonto, in dem Zeitguthaben angespart werden können.
Begonnen hatte es mit einer Anfrage der Stadt St. Gallen, die ein Zeitvorsorge-System umsetzen wollte, so berichtete der Experte. Innerhalb kürzester Zeit konnte dieses ohne bürokratische Hürden realisiert werden. In Österreich habe es etwas länger gedauert, da hier viele Fragen zu klären waren. Was dürfen die Freiwilligen tun und was muss professionellen Kräften überlassen werden? Wie erfolgt die Abgrenzung zu Schwarzarbeit, da die Unterstützten einen geringen Beitrag für die erhaltenen Leistungen zahlen. Dieser geht zur Hälfte in die Finanzierung des Systems, zur anderen Hälfte in ein „Zeitpolster“-Notfallkonto für Situationen, in denen der Zeitabgleich nicht möglich ist. Und anderes mehr galt es zu klären.
Zeitpolster-Gruppen bestehen aus einer Kerngruppe von 5-7 Personen sowie einem Pool an Helfenden sowie Hilfe in Anspruch nehmenden. Sie bilden ein gemeinsames Netzwerk. Die Kerngruppe kümmert sich um die Verwaltung der Zeitguthaben, die Werbung neuer Mitglieder und die Aufrechterhaltung der Kommunikation unter allen Mitgliedern. Gruppen brauchen keinen eigenen Verein gründen, sondern gehen unter das Dach der Zeitpolster-Organisation, die sich auch um die Versicherung, die Abrechnung, die Ausstellung von Gutscheinen sowie die Schulung neuer Gruppen kümmert.
Insgesamt 10 Gruppen mit 260 Helfenden und 80 Betreuten gibt es derzeit in Österreich. Der Großteil der Helfenden ist bereits im Ruhestand, aber rüstig genug, um anderen helfen zu können. 60 Prozent der Helfenden waren zuvor nicht freiwillig tätig. Zeitpolster ist daher keine Konkurrenz zu anderen Freiwilligendiensten, sondern spricht neue Menschen an, so Jochum-Müller. Und er sieht Zeitpolster auch nicht in Konkurrenz zur professionellen Betreuung älterer Menschen, sondern lediglich als Ergänzung. Seine Prognose: Bis 2030 werden in Österreich 25.000 neue Fachkräfte für die Betreuung älterer Menschen gebraucht. Diese würden auch wenn sie sich finanzieren lassen am Arbeitsmarkt nicht zur Gänze zu finden sein. Zudem würden sich durch die Berufstätigkeit von mittlerweile fast allen Frauen sowie durch den häufigen Wegzug der Kinder die Betreuungserfordernisse stark erhöhen.
Vielfältige Angebote seien daher in Zukunft nötig, so der Experte. Zeitpolster sei eines davon. Unterstützt werden von Zeitpolster Angehörige, die so Auszeiten nehmen können, oder Personen, die sich durch die stundenweise Unterstützung eine 24-Stundenbetreuung ersparen können. Angeboten werden Fahr- und Begleitdienste, Hilfe in der Hausarbeit und bei kleinen handwerklichen Aufgaben, Freizeitaktivitäten sowie Kinderbetreuung.
Zeitpolster lebt von aktiven Gruppen unterstützt durch das Know How des Zeitpolster-Teams in Vorarlberg. Wie sich eine solche Gruppe bildet, schilderten drei Mitglieder eines vor kurzem gegründeten Teams im Ausseerland. Und was sehr erfreulich ist: durch den Vortrag von Gernot Jochum-Müller haben sich einige der 20 Teilnehmendem am Infoabend dazu entschlossen, eine Salzburger Zeitpolster-Gruppe zu etablieren. Ein Treffen für weitere Sondierungen wurde bereits vereinbart. Vielleicht wird die JBZ auf diese Weise Geburtshelferin für eine spannende soziale Innovation hier in Salzburg.
Das Referat Jugend, Generationen, Integration des Landes Salzburg war Partner dieser Veranstaltung, vertreten durch Yvonne Kirchmauer und Franz Neumayer. Unter den Teilnehmenden waren auch Christian Reisinger vom Bewohnerservice Lehen, der ebenfalls Interesse am Projekt bekundet hat, sowie Romy Sigl vom Coworking Space Salzburg, die Zeitpolster in ihrem Team vorstellen möchte.