Ein kleines Virus setzt dem Turbokapitalismus und damit auch unseren Turbogesellschaften zu. Es erinnert uns daran, dass der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist. Darum geht es auch in dem Buch „Animal Spirits“, dessen Titel neugierig macht; und noch mehr sein Untertitel: „Wie uns Fledermäuse, Pantoffeltierchen und Bonobos aus der Krise helfen“. JBZ-Mitarbeiter Hans Holzinger findet, dass das Buch gerade jetzt höchst aktuell ist. Bitte unten weiterlesen und das Interview mit dem Autor ansehen.
Oliver Tanzer ist Ressortleiter Wirtschaft der Wochenzeitung „Die Furche“. Er hat sich in seinem neuen Buch im Sozialleben der Tiere sowie bei den Organisationsformen der Biosphäre, etwa der Bäume, umgesehen und kommt zum Schluss, dass wir Menschen in Manchem davon etwas lernen könnten. Es geht dabei nicht um Analogien zu menschlichen Zivilisationen, diese seien unzulässig, sondern um den Vergleich von Verhaltensweisen, Systemen der Organisation des Zusammenlebens und der Verteilung von Ressourcen, also dem Wirtschaften.
Zunächst gibt uns der Autor aber eine Krisendiagnose: unsere Konsumgesellschaft sei geprägt vom Verlust der Beziehung zu den Dingen sowie deren permanenter Abwertung in der Jagd nach Neuem. Dazu käme das Überhandnehmen eines Narzissmus, der blind ist für die Zerstörungen, die er anrichtet, sowie die Abspaltung von anderen Lebewesen. Eine erste Erkenntnis müsse daher sein, uns davon zu verabschieden, dass – wie gesagt – „der Mensch allein das Maß aller Dinge“ (S. 20) sei.
Tanzer geht hart ins Gericht mit dem weltweit dominanten Wirtschaftssystem des Kapitalismus. Die Ursprünge der Probleme sieht er dabei bereits in der „fehlerhaften Auslegung der Ökonomie in der Antike“ (S. 25), die auf Herrschaft, nicht auf Vorsorge beruhe. Die „Ökonomie des Kapitalismus“ tue nicht, was ein System tun sollte: „eine stabile Ordnung schaffen“ (S. 25). Solange jedoch immer nur Ausschnitte dieses Systems kritisiert werden, wie die Reichtums- und Verteilungsfrage, der Verlust der Handlungsspielräume der Politik, die Finanzmärkte, die Steueroasen, und nicht das System selbst, gehe diese Kritik ins Leere, so eine zentrale These von Tanzer.
„Die Ökonomie wird Reformversuchen unzugänglich bleiben, solange man ausschließlich an den wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Krisen des Systems ansetzt.“ (S. 37)
„Eine der Absurditäten des Systems ist, dass es neben einem ständigen Überangebot den Mangel mitproduzieren muss.“ (S. 49)
Warum dem System so schwer beizukommen sei, sieht der Autor in der Macht begründet: Charakteristisch am Kapitalismus sei nicht der Tausch, „sondern die Hierarchie und die strenge Ordnung von befehlenden und gehorchenden Teilen“ (S. 37). Wir werden beherrscht von „pyramidalem Denken“ (S. 38). Tanzer plädiert daher für grundlegende Alternativkonzepte wie die „Gemeinwohlökonomie“ oder das „Buen Vivir“. Mit Niklas Luhmann spricht er von der Umsetzung eines „horizontalen Systems“, in dem es nicht um „Befehl und Ausführung“, sondern um „Anregung und Weitergabe“ gehe (S. 50f). Dies führt Tanzer nun zu der neuen Beziehung zur Welt und all ihren Lebewesen, die wir bräuchten, um unsere Krisen zu überwinden, in religiöser Tradition, dem „Ruf des Franziskus“ und dessen inniger Naturbeziehung (S. 51) folgend.
Was könnten wir nun von der Natur lernen?
Grundsätzlich spricht Tanzer von zwei Archetypen, dem Eroberer und dem Gärtner, dem Prinzip des „Sich Untertan-Machens“ und dem des „Hegens und Pflegens“ (S. 104). Es ist klar, was zukunftsfähig ist. Von den Bäumen könnten wir lernen, dass Wachstum der Stabilität des Gesamtsystems dienen und irgendwann zu einem Ende kommen müsse. Gemünzt auf unseren Pumpkapitalismus: „Der weltweite Schuldenberg ist heute so hoch wie nie zuvor und allenthalben sehen Experten eine Krise kommen, welche die Stützen und den Stamm brechen könnten.“ (S.127) Zudem brauche es immer Ruhephasen, in denen sich das System regeneriert, der Kapitalismus sei jedoch getrieben vom Immer-Mehr. Der Finanzkrise von 2008 wurde durch mehr vom selben begegnet, mehr Kapital, mehr Schulden. Die Krisen wurden vertagt, so Tanzer mit Bezug auf die Ökonomen Carmen Reinhardt und Kenneth Rogoff, denn die Krisenanfälligkeit steige mit der Kapitalmobilität.
Von den Einzellern, den Pantoffeltierchen, könnten wir jedoch lernen, dass Krisen „eine Vielfalt an Lösungsmöglichkeiten“ (S. 138) erfordern. Unternehmen könnten sich viel von den Wölfen abschauen, deren Verhalten auf „flachen Führungsstrukturen, Spiel, Übung und Intuition“ (S. 155) basiere, so ein weiteres Beispiel. Die Fledermäuse wiederum würden uns vormachen, wie selbstsüchtiges Verhalten durch „gewaltloses Anstupsen“ (S. 187) geahndet und unterbunden werden könnte. Und zuletzt zu den Affen, genauer den Bonobos, die „effizient Konfliktvermeidung betreiben“ und „Aggression in positive Energie verwandeln“ (S. 199).
Ein spannendes Buch, das auf kreative Weise Organisationsprinzipien der außermenschlichen Natur für die Lösung der vom Wachstums- und Konsumkapitalismus verursachten Krisen nutzbar macht und dabei auch zahlreiche Bezüge zur Wirtschafts- und Kulturgeschichte herstellt. Gefordert wäre demnach ein grundlegend anderes Wirtschaftssystem. Wir werden sehen, wieweit das Coronavirus dieses Umdenken auslösen wird und eine Rückkehr zum „Business as Usual“ verhindern werden kann.
Tanzer, Oliver: Animal Spirit. Wie uns Fledermäuse, Pantoffeltierchen und Bonobos aus der Krise helfen. Wien: Molden, 2019. 239 S.
„Am Anfang der biblischen Geschichte war der Mensch nicht Jäger und Sammler. Er war Sammler und Vegetarier. Und er hatte, was er brauchte, Schutz und Nahrung, er litt weder Kälte noch Hitze. Er hatte auch keine Feinde. Das ist der Charakter des Paradieses.“ (S. 105)