Die österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb war Gast der 59. Ausgabe der Reihe „Zukunftsbuch“ der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen am 20. Mai 2020. Wir sprachen über ihr gemeinsam mit Herbert Formayer verfasstes Buch „+2 Grad. Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten“. Und natürlich auch über die aktuelle Klimapolitik und die Chancen nach der Corona-Krise. Durch den Abend der Online-Veranstaltung führten Hans Holzinger (JBZ) und Daniela Molzbichler (FH Salzburg). Hier das Video sowie der Bericht.
Die Folgen der Klimakrise überschreiten jene der Coronakrise um ein Vielfaches
Kromp-Kolb stellte zunächst dar, warum der menschengemachte Klimawandel zu bedeutend größeren sozialen und wirtschaftlichen Krisen führen werde als die Corona-Krise, falls es nicht zu einer raschen Umsteuerung kommt (5:00). Klimawandel habe es in der Geschichte immer gegeben und dieser hatte immer massive Auswirkungen auf die Lebensbedingungen, so auch heute (13:20).
Die Expertin skizziert im Vortrag das +2 Grad- und das +5 Grad-Szenario des IPCC (15:50) sowie die Auswirkungen auf die heute jungen Generationen. Ohne Gegensteuern würden die um das Jahr 2000 Geborenen bis zu ihrem Lebensende mit einer Erwärmung der globalen Mitteltemperatur von bis 4 Grad rechnen müssen (17:00), eine Situation, die die Lebensbedingungen dramatisch verschlechtern würde.
Die Gefahr irreversibler Kipppunkte erklärte Kromp-Kolb am Beispiel des Abschmelzens des Polareises. Das Problem dabei: „Anfangs passieren die Veränderungen langsam, sie beschleunigen sich aber immer schneller, sodass der Zeitpunkt des Gegensteuerns übersehen werden kann.“ (19:20). In erdgeschichtlicher Zeit hätten sich trotz Klimaschwankungen immer wieder Stabilitätszustände eingestellt. Bei der raschen Erwärmung seit den 1970-Jahren könnte dies scheitern, wenn wir über das 1,5 Grad-Ziel hinausschießen. Der Planet würde zur „hothouse earth“ (21.30).
„Gesunde Menschen brauchen einen gesunden Planeten“ – Übergang von Effizienz zu Resilienz
Kromp-Kolb skizzierte drei Wege des Handelns (24:50): 1) Anpassung an den Klimawandel, was nötig sei, jedoch allein keineswegs reiche; 2) Geoenginierung, also das Abfangen von Treibhausgasen u. a. , was ziemlich riskant sein könnte; 3) schließlich die drastische Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes. „Gesunde Menschen brauchen einen gesunden Planeten“ (28:45) – damit betonte die Expertin, dass sich die aktuellen Krisen nur gemeinsam lösen lassen. Das gesellschaftliche Subsystem könne nur in einem intakten globalen Ökosystem funktionieren (29:50). Die „Planetary Boundaries“ würden valide Daten dazu bieten (31:50). Das dauerhafte sei die Zufuhr der Solarenergie, die besser genützt werden müsse (31:00).
Notwendig sei der Übergang von Effizienz zu Resilienz (34:30), letztlich auch zu Suffizienz, die im gegenwärtigen Wirtschaftssystem jedoch als störend angesehen werde (35:10). Kromp-Kolb setzt auf die Sustainable Development Goals (SDGs), welche soziale und ökologische Ziele verbinden (ab 37:00). Zudem müsse Wohlstand neu gedacht werden: „Klimaschutz kann, geschickt gestaltet, mehr Lebensqualität für alle schaffen.“ (39:00). Im dem spannenden Vortrag folgenden Gespräch ging es um die Rolle der Politik, die Aufgabe der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft sowie darum, was jedeR Einzelne durch ein klimabewusstes Verhalten beitragen kann (40:00).
Ökologischer Strukturwandel, Divestment und neue Routinen: „Klimaschutz beginnt im Kopf“
In der Politik ortet Kromp-Kolb ein gewisses Umdenken, was die Krisenfestigkeit unseres Wirtschaftssystems betrifft – Stichwort „Resilienz“, auch wenn das Sterben vieler Klein- und Mittelbetriebe im Gefolge der Corona-Krise dem entgegenstehen könnte (43:00). Heftige Kritik übte die Expertin an der Internationalen Energieagentur (IEA) und deren Verbrauchsprognosen, die häufig falsch lägen („Lobbyorganisation der Fossilindustrie“, 44:50). „Natural based solutions“ wie Wiederaufforstungsmaßnahmen in den Ländern des Südens könnten helfen, würden aber überschätzt (46:40).
Kromp-Kolb hält einen ökologischen Strukturwandel für unabdingbar und auch machbar, wenn dieser gut geplant stattfinde, etwa durch die Konversion der Automobilindustrie. Der Europäische Green New Deal weise hier in die richtige Richtung (50:00). Zudem müsste der Verlagerung der Investitionsströme mehr Bedeutung geschenkt werden – Stichwort „Divestment“ (55:00); ebenso dem Umstieg auf eine Kreislaufwirtschaft (1.05:00) sowie auf biologische Landwirtschaft bei gleichzeitiger Verringerung des Fleischkonsums (1:06.00).
Die Frage nach den Chancen einer Re-Regionalisierung der Produktion beantwortet Kromp-Kolb differenziert: Der Wandel müsse schrittweise erfolgen, um die Transformationsländer nicht in die Krise zu stürzen. Langfristig müsse es aber darum gehen, die globale Arbeitsteilung „Die einen produzieren, die anderen konsumieren“ zu überwinden (1:23:00).
In die Pflicht nahm die Expertin auch die Universitäten und Hochschulen, die sich viel mehr den Fragen der Zeit stellen müssten (1:10:00). Hoffnungen setzt sie in viele praktische Experimente von unten (1:17:00), positive Zukunftsszenarien, wie eine „Vision 2050“ eines wissenschaftlichen Papers an die österreichische Bundesregierung sowie in die Einübung neuer ökologischer Routinen. Denn: „Klimaschutz beginnt im Kopf.“ (1:31:30).
Bericht und Videoschnitt: Hans Holzinger für JBZ TV.