Wolfgang Aschauer von der Universität Salzburg, Anja Eder von der Universität Graz und Dimitri Prandner von der Johannes Kepler Universität Linz (im Bild mit Moderator Hans Holzinger) präsentierten am 11. November 2021 in der Reihe JBZ-Zukunftsbuch Ausschnitte aus ihrer Publikation „Die österreichische Gesellschaft während der Corona-Pandemie“. Das Buch erscheint im Dezember, die Beiträge werden als Open Access zur Verfügung stehen. Die Vorträge sind auf JBZ TV nachzusehen, eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist hier nachzulesen.

Wie hat die Pandemie in den Lebensalltag der Menschen eingegriffen? Hat diese Dynamiken sozialer Ungleichheit verschärft? Welche Solidaritätspotentiale in der Gesellschaft wurden sichtbar? Welche Werteverschiebungen und damit verbundene Spaltungstendenzen hat die Pandemie gebracht? So umriss Wolfgang Aschauer von der Universität Salzburg einleitend die Kernthemen des Buches. In Bezug auf Werteverschiebungen präsentierte er folgende Ergebnisse: Konformität gewinnt im Verlauf der Corona-Pandemie an Bedeutung, Hedonismus, Stimulation und Unabhängigkeit gehen zurück. Nach Parteipräferenz zeigt sich vor allem bei beiden Regierungsparteien ein Trend zur Konformität, innerhalb der FPÖ-Wählerschaft ein Trend zum Nonkonformismus. Es besteht ein starker Wunsch nach Solidarität auf nationaler Ebene bei gleichzeitiger Abkehr von der neoliberalen Globalisierung. Zudem sei aber eine geringe, im Verlauf der Pandemie abnehmende Hoffnung geäußert worden, dass sich die Gesellschaft in diese Richtung entwickeln wird. Die Bereitschaft zu transnationaler Solidarität etwa im Kontext von Geflüchteten hat (weiter) abgenommen. Jüngere sprechen sich stärker für transnationale Solidarität aus, 1968er und Babyboomer sind jedoch kritischer gegenüber der neoliberalen Globalisierung eingestellt als jüngere Generationen. Auch langfristig sei eher in älteren Generationen ein Trend zu universalistischen Werten zu beobachten, jüngere Generationen scheinen stärker in Mechanismen der kapitalistischen Leistungslogik verstrickt zu sein, so Aschauer.

Anja Eder von der Universität Graz referierte einen Beitrag über die Erhebungen von Sozialpräferenzen und deren mögliche Änderungen während der Pandemie. Abgefragt wurde, welches Einkommen die Österreicher:innen und in Österreich lebenden Personen für statushohe Berufe (Managerinnen, Ministerinnen, Ärzte und Ärztinnen) im Vergleich zu statusniedrigen Berufen (Verkäuferinnen, ungelernte Arbeiter:innen) für gerecht halten? Weiters wurde gefragt, wie sich die Einschätzung zur Lohngerechtigkeit von 2009 bis Mai 2020 (erste Welle von Corona) verändert hat? Und drittens, ob und wie sich die Einstellung gegenüber der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens geändert hat? Die Ergebnisse im Überblick: Eine Verringerung der Einkommensungleichheit wird sowohl in Erhebungen vor als auch zu Beginn der Corona-Krise befürwortet. Interessant dabei ist, dass die tatsächlichen Einkommen im Spitzenbereich stark unterschätzt werden. Zweitens: Im Durchschnitt wird es als gerecht empfunden, dass Menschen in statushohen Berufen in etwa viermal so viel verdienen wie Menschen in statusniedrigen Berufen, wobei der Wunsch nach Senkung der Spitzengehälter deutlich ausgeprägter ist als jener nach Erhöhung der niedrigen Einkommen. Der Wunsch nach Kürzung der Spitzengehälter hat in der Krise weiter zugenommen. Aber Ärzten und Ärztinnen wurden zu Beginn der Krise höhere Einkommen zugestanden als zuvor. In der Frage der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens hat die Polarisierung während der Pandemie zugenommen: etwa die Hälfte der Befragten sprechen sich für ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus, die andere Hälfte lehnt dieses ab. Dabei gibt es Unterschiede zwischen den Wähler:innen und den Altersgruppen: ÖVP- und FPÖ-Wähler:innen sprechen sich stark gegen ein Grundeinkommen aus, Wähler:innen von SPÖ, Grünen und Neos, Nichtwähler:innen, Jüngere zwischen 18 und 44 Jahren sowie Arbeitslose plädieren eher dafür.

Im dritten Input referierte Dimitri Prandner von der Johannes Kepler Universität Linz über Zukunftserwartungen im Kontext der Corona-Pandemie. Ein erster Befund: Die Beurteilung zukünftiger Lebensumstände wird in der EU und Österreich seit Beginn des Jahrtausends sukzessive schlechter. Als Ursachen nannte Prandner die Verschärfung ökonomischer, politischer und kultureller Problemlagen, das (Wieder-)Erstarken von sozialen Trennlinien, die anfangs bereits angesprochenen Polarisierungstendenzen in der Bevölkerung sowie die Abhängigkeit der Ergebnisse von der Wahrnehmung an Krisenphänomenen. Ein Aspekt dabei sei, dass die Erwartungen gegenüber der eigenen Zukunft immer positiver ausfällt, als jene für die gesamte Gesellschaft oder für die Europäische Union. Das habe sich während der Pandemie bestätigt. Mit Bezug zu Corona wird eine Zunahme des Zukunftspessimismus festgestellt, wobei
vor allem die wahrgenommenen wirtschaftlichen Gefahren sowie die zusätzliche materielle Deprivation durch die Pandemie eine Rolle spielen. Frappant sei auch die starke Abnahme des Institutionsvertrauens sowie des Vertrauens in die Regulationspotenziale der Politik („Regulationskrise“). Der Ausblick von Prandner: Wenn es gelingt, eine als gerecht wahrgenommene Verteilung von gesellschaftlichen Gütern zu gewährleisten und das Vertrauen in die Institutionen (wieder) hergestellt werden kann, schlagen sich krisenbedingte Disruptionen wie durch die Pandemie weniger in pessimistischen Erwartungen an die Zukunft nieder.

Ein Aspekt, der auch in der den Inputs folgenden Diskussion betont wurde. Wolfgang Aschauer dazu abschließend: Die starke Individualisierung und Leistungsorientierung, gepaart mit zunehmender sozialer Ungleichheit sowie autoritären Tendenzen könnte zu einer weiteren Polarisierung und Entdemokratisierung der Gesellschaft führen. Soziale Auffangnetze bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen wären eine sozialpolitische Antwort, um eine inklusive Gesellschaft zu erreichen.

Moderation und Bericht: Hans Holzinger
Foto und Video: Carmen Bayer