Ariadne von Schirach richtet sich in ihren Büchern und Vorträgen an uns als Individuen und gesellschaftliche Wesen. In „Die psychotische Gesellschaft“ hinterfragt von Schirach unsere ökonomisierte Gesellschaft und plädiert für einen anderen Umgang mit Natur, Menschsein und Liebe. In „Glücksversuche“ widmet sich die Philosophin antiken und aktuellen Glücksvorstellungen. Erkenntnisse aus Evolutionsbiologie und Psychologie spielen dabei ebenso eine Rolle wie die griechischen Philosophen. Am 21. März 2022 war sie in der Reihe JBZ Zukunftsbuch in einer Kooperation mit dem Verein „prolit“ zu Gast. Die Aufzeichnung des Vortrags zum Thema „Haben wir einen Sinn für den Sinn“ ist demnächst auf JBZ TV zu finden. Hier ein kurzer Bericht.

„Ariadne von Schirach versteht es, den analytischen Blick auf Wirklichkeiten nicht nur rückzubinden ans konkrete, einzelne Leben, sondern auch zu verbinden mit der Überzeugung, dass jede Wirklichkeit immer auch veränderbar ist, dass sie die Möglichkeit, die Möglichkeitsräume an der Seite hat, so Petra Nagenkögel einleitend. Es gehe um nichts weniger als um Frage, was es bedeutet, Mensch zu sein – diese Frage stelle sich angesichts der zugespitzten ökologischen Katastrophe ebenso wie vor dem Hintergrund des Kriegs.

In ihrem Vortrag spannte Ariadne von Schirach den Bogen vom Krieg in der Ukraine, der Pandemie und den ökologischen Krisen hin zur Verantwortung, die wir als Subjekte dafür tragen. Ihre Überzeugung: „Die große Krise betrifft nicht nur die Weise, wie die Mitglieder unserer Spezies ihre Brüder und Schwestern behandeln, sondern auch die Rolle, die unsere Spezies im Ganzen der Erde spielt.“ Es stelle sich daher die dringliche Frage, „was der Mensch ist und was er sein soll“. Von Schirach sprach von der „Forderung der Stunde“ (Viktor Frankl), vom „Unterschied, der wir sein können“ und von der „Verbundenheit mit allem“. Wir könnten immer wieder neuen Sinn aus unserem Leben und Zusammenleben machen: „Doch diesen Sinn stellen wir nicht nur her, er stellt sich auch ein, wenn wir der eigenen Position im Ganzen des Lebens gerecht werden“.

Es sei schwierig, sich all den Problemen immer wieder zu stellen, so von Schirach: „Und obwohl wir uns alle nach Normalität sehnen, können wir nicht einfach so weitermachen. Denn nicht die Natur ist von unserer Lebensweise bedroht, sondern wir selbst sind bedroht. Unser Überleben.“ Dabei spiele die Verantwortung jedes Einzelnen eine Rolle: „Jeder einzelne Mensch legt durch den Vollzug seines eigenen Lebens Zeugnis darüber ab, was heißen kann, ein Mensch zu sein.“ Ihr Vortrag sei auch ein Plädoyer für Bewusstheit: Verdrängung sei ein Mechanismus, der schützt. „Das Hinsehen dagegen tut weh. Sollten wir wieder fähiger werden, Schmerz zuzulassen? Über die Zerstörung der Natur, über die eigene Verantwortung daran?“

Mit Bezug auf Niklas Luhmanns Konzept der Subsysteme kritisierte von Schirach das Überhandnehmen eines Subsystems, des Ökonomischen. Man könne sich das wie ein großes Haus vorstellen, indem es einmal unterschiedliche Zimmer gegeben habe, aber nun nur mehr eine einzige große Lagerhalle, in der Waren ver- und gekauft werden: „Das ökonomische Subsysteme mit seiner Leitdifferenz Gewinn/Verlust und seinem einzigen und allumfassenden Wert Profit hat alle anderen Systeme befallen, so dass es mittlerweile nicht mehr um Gerechtigkeit, Relevanz oder Wahrheit geht, sondern schlicht um Geld, um mehr Geld. Um soviel Geld, dass die Erde mittlerweile bankrott ist und acht Individuen soviel besitzen, wie die Hälfte der Weltbevölkerung zusammen.“

Das ökonomische Subsystem schaffe keine echten Werte, es verwerte nur in dem es Lebendiges in Lesbares verwandelt, Qualität in Quantität und Werte in Preise. „Am Ende solcher Prozesse stehen Eindeutigkeit, Zugänglichkeit und vor allem Vergleichbarkeit. Auf der Ebene der Menschen nennt man diese Vergleichbarkeit Konkurrenz. Und da Irgendwann alles mit allem vergleichbar ist, weil alles nur noch Fakt ist, Information und Nutzwert, wird alles relativ, dabei müssen menschliche Werte wie unsere Gleichheit oder die Würde des Schwachen absolut gesetzt werden.“ Doch genau das werde korrumpiert.

Was tun? Im dem Vortrag folgenden Gespräch wurde von Schirach auf die Bedeutung von politischem Handeln, also die Assoziation Gleichgesinnter angesprochen, um Veränderungen herbeizuführen. Die Philosophin verwehrte sich dem nicht, betonte aber, dass wir als Subjekte uns jener Entfremdung von der Natur, den anderen Spezies, uns selbst gegenüber bewusst werden müssten, um die tieferliegenden Ursachen unserer Krisen zu ergründen. Der Abend fand breites Interesse – vor Ort sowie in der Übertragung ins Netz. Er machte deutlich, dass es Aufgabe der Philosophie ist, grundsätzliche Fragen zu stellen. Dies in einer Sprache, die uns berührt in unserem Denken und Fühlen. Das ist der Vortragenden hervorragend gelungen.

Ariadne von Schirach unterrichtet Philosophie und chinesisches Denken an verschiedenen Hochschulen und hält Vorträge im In- und Ausland. Zudem arbeitet sie als freie Journalistin.

Ariadne von Schirach (Bildmitte) im Gespräch mit Petra Nagenkögel von prolit und Hans Holzinger von der JBZ.

Bericht: Hans Holzinger | Video & Fotos: Carmen Bayer