Beteiligung auf gleicher Augenhöhe – dies symbolisiert die Sitzordnung des Kreises. Bei unserem Workshop über „Demokratie & Engagement“ in der Reihe Projekte des Wandels war der Kreis gut gefüllt. Gut 30 Interessierte waren der Einladung gefolgt, mit Expertinnen und Experten über das Verhältnis von Zivilgesellschaft, Partizipation und Demokratie zu reflektieren. Vertreten waren zahlreiche Salzburger Initiativen, Engagierte in NGOs und Bildungseinrichtungen. Auch Martina Berthold, als Landesrätin in den letzten fünf Jahren für Erwachsenenbildung zuständig, beteiligte sich an der Diskussion. Hier ein Bericht.
„Engagement braucht Zeit, Ressourcen sowie inhaltliche und strategische Kompetenz“, so Hans Holzinger von der Robert-Jungk-Bibliothek (JBZ) in der Einführung. Einmal im Jahr einen Reflexionsraum über das eigene Engagement und deren Bedingungen zur Verfügung zu stellen, sei eines der Ziele der 2016 gegründeten Plattform Zivilgesellschaft Salzburg, der derzeit 22 Nicht-Regierungsorganisationen angehören. In dem von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung geförderten Workshop ging es um Engagement in formalen Bürgerbeteiligungsprozessen ebenso wie in zivilgesellschaftlichen Gruppen sowie um institutionelle Beteiligung im demokratischen System etwa bei Wahlen und durch Bürgerabstimmungen.
Impulsreferate
Martina Handler, Partizipationsexpertin der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT) und Initiatorin der Homepage partizipation.at konstatierte in ihrem Eingangsstatement ein weitverbreitetes Misstrauen zwischen BürgerInnen und PolitikerInnen. Österreich habe keine besonders ausgeprägte Beteiligungskultur. Es herrsche eine Mentalität des Kritisierens, letztlich werde aber erwartet, das alles „von oben“ geregelt werde. Auch die Praxis der Amtsverschwiegenheit gehe historisch auf einen Obrigkeitsstaat zurück. Mit dem Entstehen von Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen ab den 1970er-Jahren habe sich, so Handler, zwar einiges geändert, Politik und Verwaltung mussten dazulernen. Die Beteiligungskultur sei aber immer noch ausbaufähig. Häufig würden BürgerInnen bei Projekten erst einbezogen, wenn die wichtigsten Entscheidungen bereits gefallen sind. Gelingende Beteiligungsprozesse bräuchten eine gute Vorbereitung, eine professionelle Begleitung sowie das Ernst-Nehmen der Ergebnisse, so Handler.
Julian Bruns, Mitinitiator von BIWAZ, einer Bildungswerkstatt für Antifaschismus und Zivilcourage, betonte, dass in ganz Europa die Mitglieder wie die WählerInnen der ehemaligen Großparteien stark zurückgehen. Viele Menschen fühlten sich nicht mehr repräsentiert, zudem steige das Misstrauen gegenüber den Medien. Die Rechten hätten diese Leerstelle gefüllt, während die Linke mit sich selbst beschäftigt sei. Bruns ist Ko-Autor einer Studie „Die Identitären“ über die Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa. Diese Bewegung nutze das Misstrauen der Menschen aus, inszeniere sich als Widerstandsbewegung und habe die Mobilisierungsformen progressiver sozialer Bewegungen wie Demonstrationen oder Blockaden übernommen. Bedrohungsbilder wie die „Überfremdung durch den Islam“ oder „Flüchtlingsströme“ würden zur Mobilisierung genutzt. Eine glaubwürdige auf Verteilungsgerechtigkeit insistierende Politik, wie sie etwa Jeremy Corbyn in Großbritannien verfolge, ist für Bruns ein zentraler Weg, dieser Angstmache entgegen zu wirken.
Stefan Wally von der JBZ meinte, dass es lange Zeit gelang, die Beteiligung in konventionellen Formen der Politik durch Wohlstandsversprechen, mehr Bildung und eine funktionierende Sozialpartnerschaft zu sichern. Dies sei nicht mehr der Fall, wie die Abnahme der Wahlbeteiligung gerade benachteiligter sozialer Schichten ebenso zeige wie der Mitgliederschwund bei Gewerkschaften und Kirchen. Anhand von Zahlen zur Wahlbeteiligung in Salzburg, dokumentiert in einem JBZ-Arbeitspapier zu Politischer Teilhabe, machte Wally deutlich, dass die Partizipation über Wahlen stark zurückgehe, dies aber auch nicht durch andere Formen der Beteiligung etwa in BürgerInneninitiativen aufgewogen werde. In wirtschaftlich schwächeren Stadtteilen von Salzburg sei auch die Wahlbeteiligung am niedrigsten und sinke schneller als in reicheren Stadtteilen. Frappant sei vor allem das abnehmende Interesse an Politik bei jungen Menschen, die bereits früh im Arbeitsleben stehen.
Hier hakte Robert Buggler ein, der 18 Jahre als Sprecher der Salzburger Armutskonferenz tätig war und die nun die Leitung einer Salzburger Sozialeinrichtung übernimmt. Die gesellschaftliche Spaltung finde nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene statt. Das Ressentiment kehre zurück, das Soziale werde abgewertet, Stimmungsmache etwa gegen eine „überbordende Asyl- und Sozialindustrie“ werde salonfähig. Soziales und ökologisches Engagement werden als „Gutmenschentum“ lächerlich gemacht, so Buggler. Mit Oliver Nachtwey sprach Buggler von einer „regressiven Moderne“. In der Zivilgesellschaft herrsche eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber den neuen Bewegungen von rechts, die pluralisierte Gesellschaft mache es schwerer, wirksamen Widerstand zu organisieren. In Salzburg seien zwar Bei- und BürgerInnenräte ausgebaut worden, das Einbringen von Forderungen an die Landespolitik durch die Zivilgesellschaft sei aber ausbaufähig.
Diskussion und Worldcafe
In der folgenden Diskussion wurden unterschiedliche Aspekte angesprochen: Marietta Oberrauch von Akzente betonte etwa, dass Projekte der Jugendbeteiligung wie der Jugendlandtag ausgebaut werden sollten. Die Integrationsbeauftragte der Stadt Salzburg Daiva Döring wies darauf hin, dass vielen Migrantinnen politische Teilhabe u.a. durch restriktive Einbürgerungsgesetze verwehrt ist und sie nach wie vor in Beteiligungsprozessen aufgrund von ungünstigen Rahmenbedingungen unterpräsentiert seien. Martina Berthold konstatierte ein breites zivilgesellschaftliches Engagement, das in vielen Salzburger Gemeinden im Kontext der Flüchtlingshilfe entstanden sei, und sie verwies auf erste Erfahrungen mit BürgerInnen-Räten in Salzburg. Mehrmals wurde auf die notwendige Qualität und Verbindlichkeit von Bürgerbeteiligungsprozessen verwiesen, und auch darauf, dass Engagement Zeit koste und Ressourcen brauche. Allgemein bestätigt wurde, dass es in einer pluralistischen Welt mit vielfältigen Anliegen schwieriger geworden sei, sich auf Kernfragen zu verständigen.
In den anschließenden Thementischen des Worldcafes konnten Einzelfragen vertiefend bearbeitet werden. Am Tisch „Aus Erfahrungen in Bürgerbeteiligungsprozessen lernen„, moderiert von der Leiterin des Freiwilligenzentrums Salzburg Dagmar Baumgartner, wurde u.a. vorgeschlagen, Beteiligungsprozesse durch Aufwandsentschädigungen oder Freistellungen für Teilnehmende aufzuwerten und nicht nur Lokale Agenda 21-Prozesse, sondern auch kleine Projekte, die von BürgerInnen selbst organisiert werden, zu fördern. Zudem sollen Formate geschaffen werden, die marginalisierten Gruppen einbinden, deren Vernetzung fördern und zu Selbstermächtigung beitragen.
In der Gruppe zum „Direkte Demokratie als Beitrag zu einem positiven Politikverständnis“, geleitet von Karo Lehner, Bundessprecherin von mehr demokratie Österreich, wurde kontrovers diskutiert. Der Gefahr des Missbrauchs von Direkter Demokratie für populistische Politik standen die Chancen verbindlicher Bürgerentscheide gegenüber. Insbesondere wurde betont, dass die intensive Auseinandersetzung mit zur Abstimmung anstehenden Themen, die in der Schweiz etwa durch das „Abstimmungsbüchl“ mit aufgelisteten Pros und Contras gewährleistet wird, die Qualität der öffentlichen Debatten stärken würde.
Am Thementisch „Vernetzung der Zivilgesellschaft in Salzburg“ mit Alina Kugler und Kurt Egger wurden Erfahrungen aus Netzwerken wie „Solidarisches Salzburg“ oder „Anders Handeln – vormals TTIP stoppen“ und die Ziele der Salzburger Plattform Zivilgesellschaft vertiefend diskutiert. Die Vielfalt der Anliegen von zivilgesellschaftlichen Gruppen und NGOs sei ein Qualitätsmerkmal, punktuell solle aber anlassbezogen stärker kooperiert werden, so eines der Ergebnisse. Das Knowhow der NGOs solle auch stärker in der Landespolitik Berücksichtigung finden. Begrüßt wurde der Vorschlag der JBZ, einmal im Jahre eine Veranstaltung zur Reflexion über Engagement auf Metaebene anzubieten. Zudem wurde vorgeschlagen, einen NGO-Stammtisch einzurichten, der in geselliger Atmosphäre den Austausch unter Engagierten ermöglichen soll.
Resümee
Markus Pausch, Politikwissenschaftler an der Fachhochschule Urstein und Autor eines Buches „Demokratie als Revolte“, hatten wir gebeten, eine Art Schlussresümee zu ziehen. Er übertitelte dieses pointiert mit „Zurück in die Institutionen“. Während die autoritären Kräfte verstärkt die Institutionen besetzen, würden die progressiven Kräfte den Rückzug aus den Institutionen in die Zivilgesellschaft antreten, so seine These. Der Vertrauensverlust zwischen Zivilgesellschaft und Politik schwäche die Demokratie, da diese beides brauche. Es gehe um das Brücken bauen und um Kommunikation, nicht um die Spaltung in „Wir“ und „Ihr“. Die zunehmende Unzufriedenheit mit der Politik müsse nicht unbedingt aus mangelnden Beteiligungsmöglichkeiten resultieren, sondern könne auch Ausdruck einer Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Politik sein. Xenophobie und Autoritarismus würden heute den hegemonialen Diskurs bestimmen. Die Zersplitterung auf der progressiven Seite erschwere die Etablierung eines gegenhegemonialen Diskurses. Dennoch sei zu konstatieren, dass die Demokratiequalität nach wie vor hoch ist, wie Studien zeigen, so Pausch abschließend.
Der Workshop unserer Reihe „Projekte des Wandels“ zeigte, dass der Bedarf nach Zeit und Raum für Reflexion und Austausch unter zivilgesellschaftlich Engagierten groß ist und auch im eigenen Engagement bestärken kann. Themen einer solidarischen und ökologischen Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft auf der öffentlichen Agenda zu halten, ist zentrales Ziel und Aufgabe von NGOs. Zudem braucht es aber den Dialog mit der Politik und neue Formen der Beteiligung, um Misstrauen abzubauen und neue Lösungen entstehen zu lassen.
Dass es diese gibt, macht ein von Martina Handler u.a. herausgegebenes Methodenhandbuch „Bürgerbeteiligung in der Praxis“ deutlich, das im Rahmen der Veranstaltung präsentiert wurde und an dem auch die JBZ mit der Methode „Zukunftswerkstatt“ mitwirken konnte. Engagement braucht inhaltliche wie methodische Kompetenz. Hingewiesen sei daher an dieser Stelle auf den am 27. September 2018 in der JBZ startenden Lehrgang „Wirtschaft verstehen – Wirtschaften gestalten“, der gemeinsam mit Gemeindeentwicklung Salzburg, attac und AK Salzburg ausgerichtet wird. In St. Virgil startet am 7. September 2018 ein 12-teiliger Lehrgang“beteiligen.gestalten“ gemeinsam mit dem Friedensbüro Salzburg. Der Termin für den ersten Salzburger NGO-Stammtisch folgt demnächst!
Text: Hans Holzinger, Fotos: Reinhard Geiger