Vom 14.-15. November 2018 fand in Wien eine große Growth in Transition-Konferenz mit internationalen ExpertInnen statt, darunter der Postwachstumsvordenker Tim Jackson und die Begründerin der Donut-Ökonomie Kate Raworth (s. Bild). Zur Eröffnung war sogar der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gekommen. JBZ-Mitarbeiter Hans Holzinger hat für die Konferenz Papers zu „Sustainable Development Goals“, „Climate Politics“ und „Circular Economy“ (alle drei im Erscheinen) sowie zu „Digital Economy“ erstellt (Vorbericht auf Radio Bob). Und er hat für die JBZ sowie die Mediengenossenschaft cooppa an der Konferenz teilgenommen. Hier sein Bericht. 

Wachstum darf kein Selbstzweck sein

„Kein Land kann ohne Wachstum zu Wohlstand kommen. Doch kein Land wird seine Umweltprobleme mit Wachstum lösen“, damit brachte Kate Raworth bei der Konferenz „Wachstum im Wandel“ das Spannungsverhältnis zwischen Ökologie und Sozialem auf den Punkt. Und sie zeigte damit zugleich die Richtung des Kurswechsels an. Länder mit bereits hoher Wirtschaftsleistung sind angehalten, den Wachstumspfad zu verlassen. „Wir brauchen einen neuen Kompass für das 21. Jahrhundert, und wenn wir diesen nicht finden, werden wir große Krisen erleben“, so die britische Ökonomin, Senior Visiting Research Associate am Environmental Change Institute der Oxford University.

Mit ihrem Modell der Donut-Ökonomie, beschrieben im gleichnamigen Buch, liefert sie diesen Kompass. Das Modell besteht aus zwei konzentrischen Kreisen, die Grenzen markieren und an einen Donut erinnern. Es bringt das gesellschaftliche Fundament (Innenkreis), also die sozioökonomische Basis, zusammen mit den planetarischen Grenzen (Außenkreis). Zurück zu finden in die Grenzen des globalen Ökosystems und zugleich allen Menschen auf der Erde die Basis für ein gutes Leben zu ermöglichen, sei das Ziel von Nachhaltigkeit und den Sustainable Development Goals. Grünes Wachstum wird, so Raworth, nicht reichen. „Wir brauchen eine absolute Entkopplung von Naturverbrauch und Wohlstandssicherung. Eine Politik für das 21. Jahrhundert müsse die Zielrichtung für Entwicklung ebenso ändern wie die Wirtschaft die Investitionsströme. Und: „Paradigm change to wellbeing growth will change our matrix of action“.

Der „Flow“ als Sich-Hingeben an eine Aufgabe anstatt noch mehr Konsum und Stoffdurchsatz

Hier setzte Tim Jackson, Autor des Bestsellers „Wohlstand ohne Wachstum“, an. Er bezog sich in seinem Referat auf einen Begründer der modernen Physik aus Wien, Ludwig Boltzmann. Dieser habe die Erkenntnisse über Entropie und die Einbettung alles menschlichen Handelns in natürliche  Ökosysteme wesentlich beeinflusst. Da die stoffliche Welt von Zerfall bestimmt ist – einmal verwendete Rohstoffe verlieren an Qualität und verbranntes Erdöl ist zwar nicht aus der Welt, kann aber nur einmal verbrannt werden –  stoßen wir auf physikalische Grenzen.  „Wenn Menschen in der Natur bestehen wollen, müssen sie lernen mit der Sonne zu leben“, so die zentrale Botschaft. . Der Zugang zu Naturressourcen sei die Basis allen Lebens. Da diese begrenzt sind, müssen wir ein besseres Leben mit weniger Verbrauch an Ressourcen anstreben. Jackson plädierte dafür, dem Wachsen eine neue Richtung zu geben. Der Mensch strebe immer nach Neuem, dem BIP-Wachstum als Grundlogik des 20. Jahrhunderts müsse das Wachsen immaterieller Güter im 21. Jahrhundert folgen. Die Glücksforschung beschreibe den „Flow“, das Sich-Hingeben einer Aufgabe oder einem Anliegen, als anzustrebenden Zustand. Dieser habe meist wenig mit materiellen Dingen zu tun. Wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind, gehe es darum, in Immaterielles zu investieren, etwa künstlerische Kreativität oder soziale Beziehungen, so Jackson.

Wer darf festlegen, was Wohlstand bedeutet?

Christoph Badelt, Leiter des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts (im Bild 2. v.l.), mahnte in der von Corinna Milborn und Peter Woodward moderierten Diskussion konkrete Maßnahmenvorschläge ein, die der Politik helfen sollen, die Umsteuerung anzugehen. Zudem warf er die berechtigte Frage auf, wem es zu stehe festzulegen, was ein gutes Leben sei und wie der materielle Wohlstand in einer Gesellschaft verteilt werden solle. Jackson und  Raworth betonten hingegen die Wichtigkeit neuer Ideale und Ziele, die vor den Listen für neue Maßnahmen kämen. Auch die Politik des materiellen Wachstums basiere auf einem Ideal, jenem der Anhäufung von materiellen Gütern und Konsumsteigerung. Nur ein grundlegender  Paradigmenwechsel, also neue Erzählungen von einem guten Leben, würden die Kraft entwickeln, eine andere Politik für ein geändertes Wirtschaften einzuleiten. Die Frage, was die Treiber für den notwendigen Wandel sein können und unter welchen Bedingungen kollektives Lernen stattfindet, bleibt uns über die Konferenz hinaus erhalten. Gewiss ist nur, dass wir mit der Natur nicht verhandeln, sondern nur das Wissen über die ökosystemischen Grenzen verfeinern können.

Es ist nicht möglich, hier die Vielzahl der Workshops mit spannenden Inputs zu verschiedenen Aspekten eines Wandels hin zu Nachhaltigkeitsgesellschaften wieder zugeben. Mehr gibt es auf dem Konferenz-Blog. Hier sei auf einen Workshop und den Abschluss der Veranstaltung mit gut 700 Teilnehmenden eingegangen.

Konkrete Pfade in eine Post Growth-Economy

In einem Workshop des Europäischen Umweltbüros ging es um konkrete Pfade zu einer Postwachstumsökonomie. Neben  Patrick ten Brink vom Europäisches Umweltbüro (EEB) wirkten auch Toni Ribas Bravo, Koordinator der Ökologiegruppe Barcelona en Comú, Halliki Kreinin, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, sowie Barbara Kreissler, Director of Professional Lighting, Public & Government Affairs mit. Kate Raworth war ebenso dabei.

Den Teilnehmenden wurden fünf „Vehicles“ für eine mögliche Transformation vorschlagen:  1) von Produkten  zu Dienstleistungen, 2) von Anti-Steuer-Narrativen zu grünen & fairen Steuern, 3) vom BIP zu Wohlstandswachstum, 4) von TTIP & CETA zu Kohlenstofftarifen, 5) von „consumer is king“ zu „sufficiency for all“.

„GDP shifting to wellbeeing growth“

Barbara Kreissler betonte in der Diskussion zu Vehicle 1, dass es wichtig ist, die niedrigsten Lebenszykluskosten zu betrachten, nicht die Kosten des Produkts. KOmmunen und Unternehmen müssten dies bei der Investition in Beleuchtungsanlagen berücksichtigen. Toni Bravo benannte die Grenzen des BIP, das zum Beispiel keine Care-Economy enthält, aber durch Negativkosten, etwa die Beseitigung von Umweltkatastrophen, wächst. Er kritisierte das Engagement für „Green Growth“ und „Geo-Engineering“ als technokratische Zukunftshoffnungen. Halliki Kreinin sah dies ebenso und wies auf die Bedeutung einer sinnvollen Arbeit anstelle von Bullshit-Jobs hin und plädierte für neue Arbeitszeitmodelle. Wie ein weiterer junger Teilnehmer einbrachte, gab es mehrere Hinweise auf die Notwendigkeit, uns als politisch interessierte und engagierte BürgerInnen und nicht als VerbraucherInnen zu sehen. Und Kate Raworth stimmte einem jungen Teilnehmer zu, der auf die Rolle des Geldes hinwies: „Das tiefste Problem ist die Finanzierung. Deshalb brauchen wir eine Neugestaltung von Wirtschaft und Finanzen“.

Nach der Diskussion wurden wir gebeten, über die vorgeschlagenen „fünf Fahrzeuge“ abzustimmen. Der Gewinner war Nr. 3 „GDP shifting to wellbeing growth“, gefolgt von Nr. 2 „anti-tax narratives to green @ fair taxes and Nr. 5 „sufficiency for all“.

Call for Action – zehn konkrete Forderungen

In der Konferenz wurde nach Zukunftslösungen für eine nachhaltige Entwicklung und die Umsetzung der Sustainable Goals gesucht. Zehn Vorschläge konnten abschließend präsentiert und dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Frans Timmermans übergeben werden.

Das Motto der Forderungen und zugleich Punkt 1: „We do not wait for the future – we shape it!” Bereich 2 bezog sich auf die SDGs. Insbesondere wird hier ein gutes Monitoring für die Politik und die Öffentlichkeit verlangt, welches Fortschritte transparent macht: “A robust follow-up and review mechanism for the implementation of the 2030 Agenda for Sustainable Development requires a solid framework of indicators and statistical data to monitor progress, and annual reporting based on integrated assessment logic, to inform policy and ensure accountability of all stakeholders.”

Förderung von Öko-Innovationen, nachhaltigen Investments und Demokratie

Abschnitt 3 widmet sich “Eco-Innovation”. Eine zentrale Forderung dazu lautet, dass innovative Unternehmen und Geschäftsmodelle durch die Politik unterstützt werden: „Policy initiatives should support eco-innovative business models and social enterprises.“ Danach folgt der Bereich “Sustainable Finance” mit der Annahme, dass die Mobilisierung von Kapital für nachhaltige Projekte eine wesentliche Voraussetzung für den Wandel darstellt. Im Bereich „Democracy“ wird zum einen auf die Behandlung zentraler Themen wie Dekarbonisation, Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Management von Ressourcen, Klimawandel und Digitalsierung im Netzwerk der “EU citizens´dialogues and consultations“ gedrängt. Zum anderen sollen den Bürgern und Bürgerinnen mehr Möglichkeiten gegeben werden, ihr Wissen und Engagement auf lokaler Ebene einzubringen („More opportunity for citizen engagement in the creation of knowledge and action at the local or city level via citizen´s assembles and stronger links to municipalities should be stimulated and seen as essential to the trasnsition towards a sustainable society“).

Nachhaltigkeitsforschung, Labors für soziale Innovationen, Wissensgesellschaft

Die sechste Forderung gilt mehr Anstrengungen im Bereich der finanziellen Förderung von Nachhaltigkeitsforschung, um bestehende Wissenslücken zu schließen („Additional research to adress the multiple knowledge gaps is needed to provide a strong knowledge base in support of successful implementation.“) Sehr konkret ist auch Forderung Nummer 7: Vorgeschlagen werden Nachhaltigkeitslaboratorien sowie die Schaffung eines Museums für ökosoziale Innovationen: „At this ´museum´ creative, communicative and reflective spaces should be opened up – people need tob e able to feel and grab sustainability.“  Zudem sollen bestehende Museen Themen der Nachhaltigkeit aufgreifen. Forderung 8 bezieht sich auf die Rolle der Medien im Transformationsprozess. Diese müssten eine qualitativ wertvolle demokratische Diskussion über Nachhaltigkeit unterstützen. Das führt zu Bereich 9, einer „knowledge-based society“. Die Technologien der digitalen Gesellschaft sollen genutzt werden, um mit besserem und breit verfügbarem Wissen zu Entscheidungen im Sinne von Nachhaltigkeit zu gelangen.

Globale Perspektive einnehmen

Die Teilnehmenden begrüßten den auf der Konferenz stattgefundenen Dialog auf transdisziplinärer und transnationaler Ebene. Vorgeschlagen wird aber, zukünftig über die europäische Perspektive hinauszugehen und die globale Dimension, etwa Europas Öko-Fußabdruck in der Welt, zu berücksichtigen: „The Platform should include a stronger global dimension, recognizing Europe´s impact and global footprint, and the need to contribute to stronger global governance towards ambitious implementation oft the SDGs.“ Ein Anliegen, das der Berichterstatter nur unterstreichen kann!

Schlussvorträge: Herausforderungen und Hausaufgaben für Europa

Die Tagung „Wachstum im Wandel“ fokussierte auf Zukunftslösungen im Sinne des Mottos „We do not wait for the future – we shape it“. Hans Bruyninckx, Direktor der Europäischen Umweltagentur, und der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, erinnerten in ihren Schlussstatement nochmals an die Herausforderungen, vor denen wir stehen und daran, dass Europa noch vieles zu tun hat. Wir wurden sozusagen in die Realität zurückgeholt.

Die Entkoppelung unseres Wirtschaftens vom Umweltverbrauch sei noch lange nicht gelungen, machte Bruyninckx an den exponentiellen Wachstumskurven für sämtliche Umweltindikatoren deutlich. Kleinen Erfolgen in der Reduzierung der Treibhausgase etwa im Wohnbereich oder der Industrie stünde ein weiteres starkes Anwachsen des CO2-Ausstoßes im Transportsektor gegenüber.

Doch nicht nur beim Klimawandel sei der Kurswechsel noch nicht wirklich gelungen, auch in anderen Bereichen wie Artenvielfalt, Bodenqualität, Landverbrauch oder Fischgründe stehe die Ampel in Europa noch immer auf Rot, wie der Experte an einem Statusreport für Trends bis 2020 zeigte (s. Abb.). Bruyninckx forderte systemische Lösungen ein, da isolierte Einzelmaßnahmen nicht den nötigen Erfolg bringen würden. Am Beispiel Verkehr: Der Umstieg auf E-Mobilität sei nötig und auch machbar, er müsse aber begleitet sein von neuen Nutzerlösungen, etwa Carsharing und einem sich weiter entwickelnden öffentlichen Verkehr.

Auch Bruyninckx forderte – wie sehr oft in der Konferenz zu hören war – einen Paradigmenwechsel ein. Die Wirtschaft müsse in die Gesellschaft und in die Natur als stabiles Fundament eingebettet werden. Doch derzeit sei die Rangfolge umgekehrt. Und wie ein Kreisel, der auf der Spitze steht, irgendwann umkippt, so werde ein System, das auf dem Kopf steht, irgendwann zusammenbrechen, so der augenscheinliche Vergleich des Umweltexperten.

Der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans mahnte mehrheitsfähige Botschaften ein

Frans Timmerman von der EU-Kommission machte deutlich, dass die komplexen Herausforderungen, wie sie in der Konferenz benannt wurden, in überschaubare, mehrheitsfähige Botschaften herunter gebrochen werden müssten, um politikwirksam zu werden. Die EU-Kommission versuche dies derzeit beispielsweise bei der Zurückdrängung des Plastikmülls mit ersten selektiven Verboten. Doch Europa habe nicht nur ökologische Probleme. Als weitere Herausforderungen benannte Timmermans den Rechtsruck in vielen Ländern, weil Populisten scheinbar einfache Lösungen anbieten. Gefahren für die Demokratie ortete Timmermans auch in den neuen Sozialen Medien, die rationale Diskurse erschweren würden, sowie in der Digitalökonomie, da diese neben Gewinnern auch Verlierer erzeuge.

„Vienna Vehicles“ für eine Postwachstumsökonomie an Timmermans übergeben.

Die im Workshop des EU Umweltbüros erstellten „Vienna Vehicles“, die ganz im Sinnen der eingeforderten systemischen Lösungen stehen, wurden am Rande der Konferenz dem Vizepräsidenten der EU-Kommission von Patrick ten Brink, EU Policy Director des European Environmental Bureau übergeben. Die Vorschläge reichen vom Übergang zu neuen Wohlstandsmaßen („From GDP to Wellbeing Growth“) über die Einführung von fairen und ökologischen Steuern („From an Anti-Tax-Narrative to a Green and Fair Tax“) bis hin zu neuen Nutzungsstrategien („From Products to Services“). Ein wichtiger Punkt sieht der Vorschlagskatalog in einem fairen und auch begrenzten Handel, der auch protektionistische Maßnahmen zum Schutz der Umwelt nicht scheut („We need limited, balanced and fair trade“). Schließlich wird im Maßnahmenpaket der „Vienna Vehicles“ der Mut zu einem Paradigmenwechsel hin zu suffizienten Lebensstilen eingefordert – ein Aspekt der sich in vielen Sessions der Konferenz wiederfand, etwa in den Referaten von Kate Raworth und Tim Jackson.

Bericht und Fotos: Hans Holzinger