Petra Nagenkögel ist Schriftstellerin und leitet den Literaturverein „prolit“. Sie lebt in Wien. Zu ihren Publikationen zählen die Romane „Dahinter der Osten“ und – 2019 bei JUNG und JUNG erschienen – „DORT. Geografie der Unruhe.“ Eines ihrer politischen Anliegen sind Tierrechte.

Im Gespräch mit Hans Holzinger benennt sie das Reflektieren des Verhältnisses zwischen Tier und Mensch, die Verortung des Menschen in der Welt und das Hinterfragen des Anspruchs, die „Krone der Schöpfung“ zu sein, als wichtige Momente, um die aktuellen Krisen etwa der Umweltzerstörung oder der Pandemie verstehen zu können. Anregungen dazu holt sie sich bei Elias Canettis „Über Tiere“. Den Schlachthof sieht Nagenkögel als jenen Ort, der die kapitalistische Verwertungslogik in krasser Form zum Ausdruck bringt: Tiere werden als Ware behandelt, aus denen Profit geschlagen wird, und nicht als lebende Wesen und Mitgeschöpfe wahrgenommen. Zudem werden die Arbeiter in den Schlachthöfen ausgebeutet.

Das könnte man aus „Über Tiere“ von Elias Canetti lernen,
sagt Petra Nagenkögel:
In der Coronakrise sollten wir …
… zum Anlass nehmen, unsere Beziehung zu Natur, Tieren und Leben neu zu denken. Den Menschen als „Krone der Schöpfung“ zu sehen, hat sich überholt, nicht zuletzt durch die zerstörerische Kraft der sogenannten menschlichen Zivilisation, die sich letztlich auch gegen die Menschheit selbst richten wird. Es wird darum gehen, uns als Teil des Ganzen zu begreifen, eine empathische Beziehung zum „Anderen“ zu entwickeln und Formen des Wirtschaftens, die nicht auf Ausbeutung basieren. Schlachthöfe sind der Inbegriff kapitalistischer Verwertungslogik. Von Canetti können wir lernen, dass die Beziehung zu Tieren das Potential hat, uns „zu Menschen“ zu machen.

  Das ist wichtig, weil ….
… wir erstmalig in der Evolutionsgeschichte an dem Punkt sind, über das eigene Überleben zu entscheiden. Aber auch, weil die profitorientierte, kapitalistischer Wachstumslogik unterworfene Verdinglichung  und Vernutzung von Natur und Tieren einer sich als „human“ und „fortschrittlich“ bezeichnenden Gesellschaft zutiefst unwürdig ist. Entsprechende Veränderungen in unserem Konsumverhalten sind wichtig, aber wohl nicht ausreichend. Es braucht eine juristische Formulierung und politische Umsetzung von Tierrechten und Naturrrechten, analog den Menschenrechten.

Ob es dafür Chancen aufgrund der Pandemie gibt, ….
… ist im Moment kaum abzusehen, aber immerhin zu hoffen.

Angesprochen auf die Rolle von uns als Fleischkonsumenten und damit unsere Verstrickung in die industrialisierte Massentierhaltung, argumentiert Nagenkögel, dass es Aufgabe der Politik sei, Rahmenbedingungen zu schaffen, die dem Tierleid ein Ende setzen. Sie plädiert für die Verabschiedung von Tierrechten analog den Menschenrechten – und generell für die juristische Verankerung von Rechten der Natur. Vier Fünftel der weltweiten landwirtschaftlich genutzten Fläche dienen dem Anbau von Futtermitteln, 72 Billionen Tiere würden jährlich weltweit getötet für den Verzehr durch den Menschen. Uns sei der Begriff dafür verloren gegangen, der Begriff für Körper, für Leben, für das einzelne Wesen. Ein erster Schritt wäre daher, zumindest die Massentierhaltung und dieses Massenschlachten zu verbieten, konsequent wäre jedoch der Übergang zu einer veganen Ernährungsweise.

Bei Elias Canetti könne man, so Nagenkögel, sehr früh nachlesen, was dieses gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Tier mit einer Gesellschaft mache. In seiner Autobiografie beschreibe Canetti einen Besuch in einem Schlachthaus als prägende Urszene seiner Kindheit, die ihn zeit seines Lebens nicht losgelassen habe. Eine Erfahrung, die Nagenkögel mit dem Autor teilt. Canetti habe die Beziehung zu Tieren als besondere Bereicherung gesehen, nicht im Sinne von Identifikation, sondern im Sinne der Andersheit, des nicht überbrückbaren Fremden an Tieren. Erst dadurch erfahre sich der Mensch in seinem Menschsein. Immer wieder thematisiert wird bei Canetti (und das seit den 40er Jahren) der Verlust an Vielfalt durch das Artensterben, wobei er diesen Verlust primär als einen für die Menschheit begreift. Als Menschen würden wir genau dieses Erleben von Vielfalt und Andersheit brauchen, um kreativ und lebendig sein zu können. Nachzulesen sind diese Texte in der 2002 von Brigitte Kronauer herausgegebenen Publikation „Über Tiere“, die Arbeiten des Philosophen und Schriftstellers zum Thema Tier und Mensch versammelt.

Das Video endet mit einem Appell, sich für Tierrechte einzusetzen – eine Möglichkeit in Österreich ist aktuell die Unterstützung eines Tierschutzvolksbegehrens.

Zur Videoreihe „Was kommt danach?“
In Zeiten der Krise leistet auch die JBZ ihren Beitrag. Wir wollen helfen, dass wir ins Gespräch kommen über die Zeit nach Corona. Was kommt danach? Zu diesem Zweck haben wir in unserem Gedächtnis aber auch in unseren Datenbanken gekramt. Seit vielen Jahren lesen wir Zukunftsbücher, fassen sie zusammen und machen so die Inhalte vielen Menschen zugänglich. Nun: Welche dieser Bücher enthielten wichtige Ideen, die wir jetzt hervorholen sollten? Dazu fragen wir Kolleginnen und Kollegen sowie Autoren und Autorinnen, die in der JBZ zu Gast waren. Alle Videos: https://www.youtube.com/playlist?list…