Angesichts der zunehmenden Krisen gewinnen resiliente Wirtschaftsstrukturen an Bedeutung. In Nachhaltigkeitsdiskursen zirkulieren daher Vorschläge für eine Regionalisierung des Wirtschaftens? Doch wie stark ist dieses in der Realität angekommen? Dieser Frage stellten wir uns in der 63. Ausgabe von JBZ-Projekte des Wandels, die von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung gefördert wurde. Das Thema lautete „Regionalisierung des Wirtschaftens – eine Utopie?“ Wir haben dafür eine sehr spannende Gesprächsrunde gewinnen können, moderiert von Hans Holzinger (JBZ). Das Video von der Veranstaltung gibt es auf JBZ TV. Hier ein kurzer Bericht.

Der Schwerpunkt der Veranstaltung lag auf Lebensmittelversorgung, auch wenn sich regionale Wirtschaft auf viele Produktionsbereiche bezieht, etwa Energie, lokale Rohstoffe, das Wirtschaften in Kreisläufen sowie den regionalen Handel insgesamt. Im Zentrum stand, was wir brauchen, um bei den Menschen, den Gemeinden und Betrieben das Bewusstsein für Regionalität zu schärfen.

Es gäbe klare Trends zu mehr regionalen und biologischen Lebensmitteln, auch Aspekte wie Nachhaltigkeit und Tierschutz würden bei den Konsumentinnen und Konsumenten wichtiger, so Nicole Berkmann, Sprecherin von Spar Österreich. Die Pandemie habe nicht nur die Umsätze des Lebensmittelhandels weiter gesteigert, weil eben die Gastronomie lange Zeit gesperrt war, sondern auch den Wunsch nach mehr regionalen Produkten. Der Onlinehandel werde auch im Lebensmittelbereich Einzug halten, aber nie jene Bedeutung erhalten wie im übrigen Handelsbereich, ist Berkmann überzeugt.

Diese Trends bestätigte auch Ulrike Gangl, Biobäuerin aus Lamprechtshausen und Obfrau von Bio Austria Salzburg. Direktvermarktung bedeute zwar mehr Arbeit, eröffne aber Chancen auf mehr Unabhängigkeit. Molkereien sowie der Lebensmittelhandel seien wichtige Partner, weitere Standbeine durch Hofläden, Bauernmärkte oder andere Vertriebsnetze würden jedoch die Spielräume der landwirtschaftlichen Betriebe erhöhen. Auf ihrem Hof setzen sie bewusst auf eine Vielfalt an Angeboten, wichtig sei ihr auch der persönliche Kontakt mit Abnehmern und Annehmerinnen, so die Kollmannbäuerin.

Liesi Löcker vom Sauschneiderhof in St. Margarethen, ebenfalls ein Biohof, hat mit anderen Betrieben den Lungauer Regionalladen aufgebaut. Die Betriebe vermarkten ihre Produkte gemeinschaftlich, die Verkaufszeiten werden untereinander aufgeteilt, die logistische und finanzielle Abwicklung wird ebenfalls selbstorganisiert umgesetzt. Extra angestellt ist niemand, von den Gemeinden gebe es zwar Lob und Anerkennung, aber keine finanzielle Unterstützung, so Löcker. Sie betonte ebenfalls die Notwendigkeit von Biobetrieben, kreative Wege zu gehen – hinsichtlich Produkten wie Vermarktung.

Neue Beziehungen zwischen Produzierenden und Konsumierenden

Dass auch Konsumentinnen und Konsumenten neue Wege gehen können, zeigen die an Bedeutung gewinnenden Lebensmittelkooperativen als Zusammenschluss von Menschen, die einen kleinen Laden betreiben und gemeinsam bei Bauern Lebensmittel bestellen. Renate Holzer hat die COOPinzgau in Mittersill mit aufgebaut. Entstanden sei die Idee aus dem Wunsch, biologische, regionale und faire Produkte in der Region zu bekommen und anzubieten. Die Lebensmittel können zu den Öffnungszeiten vor Ort abgeholt werden, seit der Pandemie gibt es auch ein Selbstbedienungssystem auf Vertrauensbasis. Bestellungen erfolgen zum Teil auch online. Lebensmittelkooperativen würden die Beziehung zu den produzierenden und zu Lebensmittel guter Qualität stärken, so Holzer.

Roland Bamberger ist Online-Marketing-Fachmann und in der Gemeinde Mattsee aktiv. In der Zeit der ersten Lockdowns aufgrund der Pandemie hat er die Plattform „kaufts regional“ gestartet. Das Interesse von Betrieben sei immens gewesen, sodass die anfangs ehrenamtlich geführte Plattform auf neue Beine gestellt werden musste, so Bamberger. Nun lasse aber das Interesse an der Kooperation etwas nach, die Plattform verlege sich stärker auf Marketing und werde durch Inserate mitfinanziert. Das Bewusstsein unter regionalen Handelsbetrieben für die Onlineschiene müsse aber wachsen, um den großen Online-Konzernen zumindest ein wenig zu entgegnen, betonte Bamberger.

Bessere Kennzeichnung der Produkte und mehr Bewusstsein stärkt Regionalität

In der Diskussion wurden mehrere Aspekte angesprochen, die regionales Wirtschaften fördern. Von allen Mitwirkenden wurde die Bedeutung von Bewusstseinsbildung hervorgehoben – von den Schulen bis zur Erwachsenenbildung. Ulrike Gangl und Liesi Löcker betonten, dass durch den persönlichen Kontakt zu den Abnehmer:innen Beziehungen gestiftet und damit auch ein Bezug zu den regionalen Lebensmitteln (wieder)hergestellt werde. Viele Kinder würden so erstmals einen Bauernhof erleben. Einig war man sich auch in der Notwendigkeit, die Kennzeichnung nachhaltiger Produkte zu verbessern und zu vereinheitlichen. Diese sollten auch auf die Gastronomie ausgeweitet werden. Nicole Berkman berichtete, dass in den Interspar-Restaurants ab 1. Mai 2022 solche Kennzeichnungen erfolgen werden.

Gewünscht wurde im Bereich Direktvermarktung die bürokratischen Auflagen zu entschlacken und mehr Realität des bäuerlichen Lebens anstatt der romantisierenden Werbebilder zu vermitteln. Missstände etwa in der nicht artgerechten Tierhaltung oder durch die Auslaugung der Böden durch den intensiven Kunstdüngereinsatz müssten aufgezeigt werden. Mehr Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln könnte auch dem Missstand abhelfen, dass immer mehr davon im Müll landen. Bei Spar werden abgelaufene Lebensmittel an Sozialmärkte weitergegeben, so Berkmann. Der Umfang der von Lebensmittelkonzernen entsorgten Lebensmittel werde jedoch meist überschätzt, bei Spar liege dieser bei 1-2 Prozent.

Lebensmittel müssen wertgeschätzt werden, Bauern sollen davon leben könnenneue Wege gehen

Wichtig wäre auch, dass bei den über den Onlinehandel vertriebenen Produkten die selben Auflagen etwa hinsichtlich Verpackungsvorschriften und Besteuerung gelten. Einkaufsgutscheine können den regionalen Einkauf fördern, wichtig sei aber auch, dass wir als Konsumentinnen und Konsumenten mehr auf nachhaltige Produkte achten und diese einfordern, so ein weiteres Argument. Saisonalität sei in der Direktvermarktung per se gegeben, meinte Liesi Löcker. Im Lebensmittelhandel seien die Menschen aber bereits ziemlich verwöhnt. Die Frage der Teuerung durch die gestiegenen Energiepreise wurde ambivalent gesehen – zum einen würde diese ärmere Haushalte stark treffen, zum anderen müssten Lebensmittel wieder eine höhere Priorität im Einkaufskorb gewinnen – wir geben mittlerweile mehr für Mobilität als für Lebensmittel aus. Zudem müssten die unteren Einkommen erhöht werden. Eine Änderung der Agrarförderung, die weniger an den bewirtschafteten Hektar, sondern noch mehr an einer ökologischen Produktionsweise ausgerichtet sei, könne helfen. Das Ziel müsse aber sein, das Bauern und Bäuerinnen gut von ihrem Betrieb leben können, so Ulrike Gangl. Liesi Löcker ergänzte, dass eine bessere Vernetzung der kleinen „Player“ und der Kontakt mit den Abnehmer:innen eine lokale, nachhaltige Versorgung mit Produkten hoher Qualität weiter stärken könnte.

Resümee des Moderators: Eine wichtige Veranstaltung, die zu der mehrfach angesprochenen Vernetzung sowie Bewusstseinsbildung beigetragen hat. Dass Konsumentenverantwortung durchaus erfolgreich sein kann, zeigt folgendes Beispiel: In Schweden gibt es bedeutend strengere Tierschutzauflagen, doch 80 Prozent der Menschen kaufen das teurere, einheimische Fleisch und nicht das Billigfleisch aus den norddeutschen Massentierställen. Zudem nimmt unter jungen Menschen das Umwelt- und Klimabewusstsein zu, der Anteil der sich vegetarisch oder vegan Ernährenden steigt – der Handel wird darauf reagieren. In Verbindung mit klareren politischen Vorgaben könnte die Wende also durchaus gelingen. Resilientes Wirtschaften bedeutet auf Vielfalt zu setzen und auf weitere Krisen vorbereitet zu sein. Die Zukunft ist offen und gestaltbar. Am 4. Mai 2022 gibt es die nächste Veranstaltung zum Thema. Wir präsentieren das Buch „Sorgsame Landwirtschaft“ mit den drei Autorinnen.

Bericht: Hans Holzinger Foto und Video: Carmen Bayer