Nach Corona sollten wir sehr wachsam in Bezug auf autoritäre Tendenzen sein. Auch wenn es zur Einhegung der Pandemie eine Einschränkung unserer Freiheiten braucht, müssen diese wieder umfassend hergestellt werden, sobald die Krise vorbei ist, meint Birgit Bahtic-Kunrath. Lernen könnten wir dabei von einer Analyse der Politikwissenschaftler Ivan Krastev und Stephen Holmes.


Die beiden Politikwissenschaftler Ivan Krastev und Stephen Holmes setzen sich in ihrem gemeinsamen Werk „Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung“ mit dem Aufstieg autoritärer Regime in den ehemaligen kommunistischen Staaten Mitteleuropas und Russland auseinander, aber auch mit der Krise des Liberalismus in den USA. Die zentrale These der Autoren ist, dass es der Erfolg war, der dem Liberalismus nun zum Verhängnis wird: Nach dem Sieg über den Kommunismus galten Demokratie und Kapitalismus als alternativlos.

Die Verlierer versuchten folglich, dieses System nachzuahmen. Dies betraf vor allem jene Länder, die einen Weg in die EU anstrebten: „Die Polen und Ungarn bekamen gesagt, welche Gesetze sie erlassen und welche Politik sie machen sollten, während sie gleichzeitig so tun sollten, als würden sie sich selbst regieren“ (S. 19). So jagte man einer westeuropäischen „Normalität“ hinterher, konnte ihr aber nie vollkommen gerecht werden. In Kombination mit ökonomischer Verwundbarkeit und einer demographischen Krise, welche durch niedrige Geburtenrate und hohe Auswanderungsraten zu einer dramatischen Überalterung und Bevölkerungsrückgang in Mitteleuropa führte, machte sich zunehmend Verbitterung breit:

„Ein Leben als Nachahmer vermengt unweigerlich Gefühle der Unzulänglichkeit, Minderwertigkeit, Abhängigkeit, des Identitätsverlusts und der unfreiwilligen Unaufrichtigkeit“ (S. 107).

Es war nur eine Frage der Zeit, dass Populisten diese Stimmung gezielt aufnahmen und verstärkten. Im Grunde, so Krastev und Holmes, sind aktuelle autoritäre Tendenzen, vor allem in Ungarn und Polen, nichts anderes als ein provokantes Abschütteln des „Nachahmens“ und der Heraufbeschwörung eigener, ethnisch-nationalistischer Werte und Traditionen, die nach Jahrzehnten der Fremdherrschaft endlich gelebt werden dürfen.

Einen anderen Weg schlug Russland nach dem verlorenen Kalten Krieg ein. Im Gegensatz zu den mitteleuropäischen Staaten versuchte Russland nie ernsthaft, den Liberalismus als anzustrebende Normalität zu betrachten. Vielmehr verlegte man sich in den 1990er Jahren auf „Simulation“: Man spielte für den Westen Demokratie, war aber nie ernsthaft an ihrer Verankerung interessiert – dies im Kontext dramatischer Verwerfungen, denen die russische Bevölkerung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ausgesetzt war. Darauf gründet auch der Erfolg Putins:

„Bald wurde er [Putin] als Befreier seines Volkes gefiert. Er befreite sie von liberaler Heuchelei. Seine Landsleute durften jetzt aufhören, so zu tun, als sei >die Wende< etwas Gutes für sie“ (S. 133).

Gleichzeitig bleibt Russland wirtschaftlich schwach, was mit aggressivem Auftreten nach außen kompensiert wird – sei es auf der Krim, in Syrien oder der kolportierten Einmischung in den US-Wahlkampf. Besonders bedrückend ist, dass nicht nur die offensichtlichen Verlierer des Kalten Kriegs zu Lügen und Provokation greifen, um den Liberalismus zu unterminieren. Auch im Mutterland des Liberalismus, den USA, wurde dies spätestens seit der Präsidentschaft von Trump eine offizielle politische Strategie.

Krastev und Holmes widmen den letzten Teil ihres Buches den Fragen, wie und vor allem warum der Liberalismus durch Trump zunehmend in die Defensive gerät. Dieser hat mit dem amerikanischen Exzeptionalismus aufgeräumt, der bislang als eine Kernidentität des Landes galt: Amerika ist nicht besser als andere Länder – aber deswegen kann es sich auch von den moralischen Standards verabschieden, die es Jahrzehnte in die Welt hinausgetragen hat:

„Für Trump bedeutet Normalisierung >die Wiedereinsetzung der USA als einen egoistischen Staat unter anderen egoistischen Staaten>“ (S. 216).

Nachahmung wird mittlerweile gefürchtet: Nachahmer sind für Trump Wettbewerber, die es zu schlagen gilt, auch mit autoritären Mitteln – und der Lüge, die so offensichtlich ist, dass sie nur mehr dazu dient, die Gleichgültigkeit Trumps zu unterstreichen.

Krastev und Holmes schließen das Buch mit einem Blick auf den Aufstieg Chinas: Mit der Strategie, sich vor allem technologisch dem Westen anzupassen, ansonsten jedoch isolationistisch und repressiv zu reagieren, hat China einen erfolgreichen dritten Weg eingeschlagen. China sucht globalen wirtschaftlichen Einfluss und Anerkennung, jedoch nicht ideologische Bekehrung. So steht China für das Ende des liberalen Nachahmungszeitalters, welches die letzten drei Jahrzehnte geprägt hat. Doch darin besteht eine Chance: Erst wenn wieder Alternativen sichtbar werden, kann der Liberalismus sich wieder auf seine Stärken besinnen, so die Hoffnung der beiden Autoren.

Ein absolut empfehlenswertes Buch, welches die Gefahr von Alternativlosigkeit deutlich herausarbeitet und für eine offene Gesellschaft plädiert. Die Chancen stehen gut, zumindest in konsolidierten Demokratien, wo vor allem Medien und eine kritische Zivilgesellschaft die Freiheitseinschränkungen kritisch begleiten und nach dem Ende der Pandemie energisch einfordern werden.

Krastev, Ivan / Holmes, Stephen: Das Licht, das erlosch. Eine Abrechnung. Berlin: Ullstein. 2019, 366 S.

Stefan Wally führte mit Birgit Bahtic-Kunrath ein Gespräch über das Buch in unserer Videoreihe „Was kommt danach?“ Die Rezension erscheint in unserem Büchermagazin „proZukunft 2020_2. Alle unsere Buchbesprechungen gibt es hier.